====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Bis in die 90er Jahr des letzten Jahrhunderts wurden Fotokarten mit jungen weißen Models als Standard für gute Bildentwicklung verwendet. Das führte dazu, dass Menschen dunkler Hautfarbe systematisch auf Fotografien schlechter dargestellt wurden. Erst mit zunehmenden Beschwerden von wichtigen Werbekunden änderte sich diese Praxis…
- Sind Kameras rassistisch? (DOCMA)
- Shirley Card (Heidelberger Kunstverein)
- Warum Tech-Konzerne der Gesichtserkennung abschwören (Süddeutsche Zeitung)
- Die Shirley-Card oder warum der Farbfilm ein Rassist war.
- The Racial Bias Built Into Photography (New York Times)
- Rassentrennung (Wikipedia)
- „Kodak Shirley is the Norm“: On Racism and Photography (Researchgate)
- Looking at Shirley, the Ultimate Norm: Colour Balance, Image Technologies, and Cognitive Equity
- How 20th Century Camera Film Captured a Snapshot of American Bias (Time)
- Digital Cameras Still Racist (The Atlatik)
- The Shirley Card: Racial Photographic Bias through Skin Tone (Shutterstock)
Transkript
Farbfotografie ist so omnipräsent, dass wir überhaupt keine Vorstellung mehr davon haben, was für ein Quantensprung es gewesen war, als Farbfilme in der Breite verfügbar wurden. Wir sprechen von den 1930er Jahren ungefähr, als sie ersten kommerziell erhältlichen Farbfilme in die Läden kamen. Und die ersten Labore in der Lage waren, nicht nur schwarz-weiß zu entwickeln, sondern auch Farbdrucke zu produzieren. Und was vielen nicht klar ist, ist, wie komplex Farbeindrücke zustande kommen. Wir glauben ja, dass wir Farbe absolut sehen. Rot ist rot ist rot. Grün ist grün ist grün. Egal in welchem Licht, egal wo wir sind. Unser Gehirn und unser Sehapparat passen sich automatisch den Lichtverhältnissen an und geben uns den Farbeindruck, den wir erwarten.
Die Kamera aber ist ein technisches Gerät. Die Kamera hat keine Erwartung an Farbe. Und Farbe entsteht durch Reflexion. Reflexion von Licht, dass selbst zum Teil auch schon gefärbt ist. Bei Kerzenschein zu fotografieren produzierte rötlichere Lichter, als wenn man im Neonlicht auf den Auslöser drückt. Objekte im Tageslicht sehen anders aus als Objekte in Kunstlicht. Und dann ist es noch so, dass das eingefangene Licht unterschiedlich aussieht, je nachdem, mit welchem Film oder welchem Sensor wir es zu tun haben. Auch heute ist es noch so, dass verschiedene Kamerasysteme Farben unterschiedlich darstellen. Bei identischem Licht mit identischem Objektiv können zwei unterschiedliche Kameras unterschiedliche Farben fotografieren. Einfach, weil sie die eingefangenen Lichtwellen leicht unterschiedlich interpretieren.
Moderne Kameras versuchen zusätzlich noch vollautomatisch das Licht in der Umgebung einzuschätzen und eventuell auftauchende Farbverschiebungen zu korrigieren. Man nennt das Weißabgleich. Die Idee ist sozusagen, dass reines Weiß in jeglichen Lichtverhältnissen immer als reines Weiß dargestellt werden soll. Und das macht dann einfach einen Unterschied, ob Tageslicht oder Kerzenschein reflektiert wird. Moderne Kameras erkennen den Unterschied und korrigieren die Farben im gesamten Bild entsprechend. Diese automatische Korrektur steht einem Filmfotografen nicht zur Verfügung. Da wählt der Fotograf schon mal einen bestimmten Film, je nach zu erwartender Lichtsituation. Es gibt eigens angepasste Filme für Kunstlicht. Und andere Filme, die für Tageslicht geeignet sind. Ja, und wer selbst entwickelt, der kann eventuell in der Dunkelkammer noch ein bisschen nachhelfen. Das eine oder andere, Chemiebad ein bisschen länger und der Farbeindruck wird intensiver, ein bisschen kürzer und er lässt nach.
Bei Aufkommen der Farbfotografie in den 1940er Jahren wollte man allerdings nicht selbst Hand anlegen. Farbfilme waren aufwendiger zu entwickeln als es Schwarz-weiß-Filme waren. Und so war das private Entwickeln von Farbfilm eher die Ausnahme. Die meisten Fotografinnen und Fotografen gaben ihre Werke in ein Labor. Und der Prozess war hochgradig standardisiert. Marktführer Kodak wollte nicht nur gern genau definierte Qualität bei den Filmen, sondern auch eine genau vorhersagbare Qualität bei der Entwicklung in Partnerlaboren liefern. Und man wollte sicherstellen, dass die Kunden bekamen, was sie erwartet. Hochwertige Ausdrucke in den Farben, die sie glaubten, fotografiert zu haben. Welche Farben ein Film darstellen kann, hängt von der Zusammenstellung der verwendeten Chemikalien ab. Welche Farben dargestellt werden, von der eigentlichen Entwicklung.
Vorgaben mussten also her. Wenn ein Film nicht alle Farben darstellen konnte, dann musste zumindest alles das dargestellt werden, was die Kundschaft haben wollte. Und wenn man sicherstellen möchte, dass jedes Kodak-zertifizierte Labor auch wirklich dieselbe Leistung erbrachte, musste eine Art Normmotiv her. Ein Bild also, dass überall gleich aussagt, wenn man sich bei allen Produktions- und Entwicklungsschritten an die Vorgaben gehalten hatte. Vorhang auf für die Shirley Card. Die Shirley Card war eine Karte, die Kodak ab den vierziger Jahren standardmäßig produzierte und an Partnerbetriebe und Fotografen auslieferte. Die Shirley Card hatte ihren Namen von Shirley Page. Einer Mitarbeiterin, die für die erste derartige Karte Modell gestanden hatte. Die gutaussehende Brünette lächelte freundlich in die Kamera und warum geben von mehreren Farbfeldern, die Farbschattierungen und Hauptfarben darstellten. Und mit diesen Karten wurde dann fotografisches Equipment eingerichtet. Man konnte sie abfotografieren, man konnte sie testentwickeln. Und man konnte dann das entwickelte Ergebnis mit dem von Kodak verschickten Original vergleichen. Waren beide mehr oder weniger identisch, hatte man alles richtig eingestellt. Leider weiß man nicht viel über Shirley Page. Aber bis in die 2000er wussten Fotografinnen, was gemeint war, wenn man sie aufforderte, mal gerade die Shirley drüber zu geben. Über die Jahre wurden auch verschiedene Models fotografiert, immer aber mit denselben grundlegenden Eigenschaften. Helle Haut, brünette Haare, Farbfelder außenrum. Und allgemein dachte man sich nicht viel dabei.
Das Ding war ja nur ein Hilfsmotiv. Wer bis hierher aufmerksam zugehört hat, weiß natürlich, was vermutlich das Problem war. Filme der damaligen Zeit hatten einen begrenzten Farbumfang. Einen Farbraum, der nicht die volle Breite an möglichen Schattierungen abbildete. Kodak hatte mit der Shirley Card sozusagen die Norm gesetzt. Und die Norm war eine hellhäutige, brünette Frau. Es wurde außerdem angenommen, dass die Hauptkundschaft in aller Regel weißhäutig war. Und weil Filmemulsionen, genauso wie Labore, auf diese Hauptkundschaft ausgerichtet waren, entstand der Nebeneffekt, dass weiße Menschen auf Kodak-Film besser aussahen und besser gezeichnet wurden, mit mehr Details als Mensch mit dunkler Hautfarbe. In den Fünfzigern und Sechzigern ist in den USA die Zeit des Civil Rights Movements. Afroamerikaner oder generell People of Color lehnen sich gegen das bis dahin verbreitete System der Rassentrennung auf. Und erstreiten sich gleiche Rechte, zumindest auf dem Papier. Und so häufen sich auch die Gelegenheiten, wo People of Color und Menschen weißer Hautfarbe auf denselben Bildern stehen. Zum Beispiel bei Schulfotos. Und spätestens da wurde dann auffällig, wie unterschiedlich die Filme und Labore helle und dunkle Haut behandelten. Da war es dann entweder so, dass die dunkle Haut sauber gezeichnet ist und die helle Haut nur noch ein Fleck war. Oder genau der umgekehrte Fall. Der hell heutige Mensch wurde richtig gezeichnet und People of Color mussten damit leben, im Bild praktisch nur noch ein dunkler Fleck mit weißen Zähnen zu sein.
Bei Kodak häuften sich also die Beschwerden, und man stellte sich erstmal taub. Labore, die um diese Probleme wussten, behelfen sich, indem sie bei entsprechender Kundschaft ihre Entwicklungsprozesse anpassten. Es gab Fotografen, die darauf spezialisiert waren, die richtige Belichtung zwischen den zwei Extremwerten zu wählen. Und auf dem Markt tauchten Filme auf, die darauf optimiert waren, dunkle Haut besonders gut darzustellen. Manch Kamerahersteller fand auch eine technische Lösung dafür. So gab es von Polaroid mit der ID2 eine Kamera, die eine eigene Taste hatte, die es erlaubte, bei dunkelhäutigen Menschen im Bild etwas stärker zu blitzen, als man bei hellhäutigen Menschen blitzen würde. Das Problem war also bekannt, aber den Kodak-Managern erstmal reichlich egal. Bis in die Achtziger dauerte es, bevor man reagierte. Denn offensichtlich war die Käuferschaft überwiegend weiß, oder wusste sich zu helfen.
Darf man den Artikeln glauben, die sich mit dem Thema näher auseinandersetzen, war es dann übrigens auch nicht so, dass Kodak eingesehen hatte, dass People of Color eingebunden werden müssen, sondern, es war die Beschwerde von Werbekunden, die Kodak dazu brachten, ihre Filmemulsion zu überarbeiten und neue Shirley Cards zu produzieren. Es stellte sich nämlich heraus, dass braune Farbnuancen nicht nur gut für die Darstellung von People of Color war, sondern, dass besonders Möbelhersteller und Schokoladenhersteller bei ihren Werbekampagnen darauf bestanden, dass man auch feinere Details ihrer Produkte erkennen konnte. Über 30 Jahre nach Einführung der original Kodak Farbfilme brachte Kodak also einen neuen Film auf den Markt. Den Kodak Gold Max-Film. In der dazugehörigen Werbekampagne war Kodak stolz darauf, dass man mit Kodak Gold Max auch ein dunkles Pferd in schlechten Lichtverhältnissen fotografieren konnte.
Ja, und nochmal zehn Jahre später nahm sich Kodak dann endlich auch dem Problem an, dass Laborstrecken immer noch auf die weiße Normkundin hin optimiert wurden und aktualisierten zu diesem Zweck ihre Shirley Card. Die neue Shirley zeigte nicht nur einen, sondern gleich drei Frauen. Zu der weißen Normfrau war noch eine Asiatin und eine Person of Color gekommen. Nicht zuletzt deswegen, und weil moderne Filme einen wesentlich größeren Farbraum abdecken, ist das Problem, dunkle und helle Haut gleichzeitig gut aussehen zu lassen, fast schon ein Relikt der Vergangenheit. Fast. Denn man muss nicht lange suchen, um festzustellen, dass auch moderne Kameratechnologie eingebaute, unabsichtliche Vorurteile hat. So gab es in der jüngeren Vergangenheit Fälle, wo Algorithmen, die auf die Erkennung von Gesichtern trainiert waren, weiße Haut besser erkannten als die Haut von People of Color. Wenn die Beleuchtung für Bühnen oder Filmsets ausgerichtet wird, wird öfters darauf optimiert, dass die Haut von Weißen besser aussieht. Das ist der Standardfall. Für die dunkle Haut von People of Color werden zusätzliche Schritte notwendig. Und wenn wir das eine als den Normalfall und das andere als die Abweichung ansehen, haben wir sozusagen eine Textbuchdefinition von eingebautem Rassismus.
Auch wenn es unabsichtlich ist. In den Achtzigern und Neunzigern waren die Filme von Fuji dafür bekannt, dass sie die Farbe dunkler Haut besser darstellten als das Äquivalent von Kodak. Heute gibt es Algorithmen, Kameras und Belichtungssysteme, die besser als andere darin funktionieren, dunkle Haut richtig aussehen zu lassen. Und das alles steht und fällt mit dem Bewusstsein dafür, dass es wichtig ist, beides auch mal getestet zu haben.
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