====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Der spontane Weihnachtsfrieden an der Westfront des 1. Weltkriegs ist eine (leider) einmalige und ikonische Begebenheit aus dem 1. Weltkrieg die wir dank der aufkommenden Kompaktkameras überliefert bekommen haben…
- Weihnachtsfrieden (Wikipedia)
- Leben und Leben lassen (Wikipedia)
- Erster Weltkrieg (Wikipedia)
- The Story of the WWI Christmas Truce (Smithonian Mag)
- Der Weihnachtsfrieden von 1914 (DW)
- Das Weihnachtswunder von 1914 (Deutschlandfunk)
Musik:
Silent Night (Holy Night) by Alexander Nakarada | https://www.serpentsoundstudios.com
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Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)
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Transkript
Es ist Weihnachten. Und auch die heutige Folge wird von Weihnachten handeln. Von einem Ereignis nämlich, von dem wir durch ein Foto und einen Brief wissen und das man als einzigartig bezeichnen kann.
Wir haben alle davon in der Schule gelernt. Es ist der 28. Juli 1914, als ein folgenschweres Ereignis die Weltgeschichte veränderte. Das Attentat von Sarajewo, bei dem der österreich-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau ums leben kommen, löst einen Monat später die Kriegserklärung Österreich-Ungarns gegen Serbien aus und ist damit der Beginn des Ersten Weltkriegs.
Was als Regionalkonflikt beginnt, wird sehr schnell ein kontinentaler und schließlich ein Weltkrieg mit Russland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland als Kriegsparteien. Aber besonders am Anfang scheint das Ganze relativ schnell voranzuschreiten. Noch im August verspricht Kaiser Wilhelm der II. seinen Soldaten, dass sie schon im Herbst wieder daheim sein würden. Die marschieren zügig voran, bis sie dann in Belgien von britischen Soldaten gestoppt werden. Es werden Gräben ausgehoben und der Stellungskrieg, von dem wir alle in der Schule gelernt haben, beginnt.
Es ist die Westfront, an der erbittert gekämpft wird. Und die Gräben, in denen die Soldaten sich aufhalten, haben noch nicht den „Standard“ (in Anführungsstrichen), den wir dann später im Ersten Weltkrieg sehen werden. Noch rechnet niemand damit, lange aufgehalten zu werden. Der November zieht vorbei, es wird Dezember. Es wird nass in Flandern. Und die Situation für die Soldaten wird sehr schnell sehr unangenehm. Im Prinzip schläft man in Schlammlöchern, die ständig nachgegraben werden müssen. Das Grundwasser liegt in der Region sehr nah an der Oberfläche, das bedeutet, die Gräben sind zum Teil knietief mit Wasser gefüllt. Auf beiden Seiten.
Die Deutschen und die Briten sind sich zum Teil nur wenige Meter gegenüber. Und an den Gräben zu arbeiten bedeutet eigentlich immer, sich dem gegnerischen Feuer auszusetzen. Weil man aber auf beiden Seiten weiß, wie aussichtslos die Lage tatsächlich ist, lässt man sich hin und wieder „gewähren“. Leben und leben lassen. Wenn zum Beispiel mittags Feuer gemacht wird, um Essen zu garen, wird nicht mit Granatenbeschuss auf die Rauchsäulen reagiert, sondern die Soldaten erlauben sich gegenseitig eine kurze Verschnaufpause. Wenn man Gräben nachbessern muss, kann man irgendwann tatsächlich sogar den Kopf über den Graben heben, ohne Angst haben zu müssen, von der gegnerischen Seite erschossen zu werden.
Ja, und es ist Dezember, es wird also irgendwann Weihnachten. Von Zuhause werden Päckchen an die Front geschickt: kleine Geschenke, um das Leben in den Gräben erträglicher zu machen. Es wird Heiligabend und was wäre Heiligabend ohne einen Christbaum?
[Einspieler]
„Soon after dusk on the 24th, the germans put up lanterns on the top of their trenches and started singing. Firing seized on both sides and both, german and english, ventured out on top of their trenches. Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, trafen sich kleine Gruppen von beiden Seiten im Niemandsland zwischen den feindlichen Linien.“
Das sind die Worte des Soldaten Grigg. Er und ein Kamerad namens Turner hatten von dem spontanen Waffenstillstand gehört und waren den Deutschen entgegengegangen. Turner hatte eine Kamera dabei und machte ein paar Schnappschüsse. Und einer davon lag dem Brief bei. 9 Männer schauen ernst in die Kamera. Einer davon mit Pickelhaube und einer Zigarette im Mund. Und dieser eine Mann mit Pickelhaube, dessen Identität unklar ist, ist, was dieses Bild so ikonisch macht, denn durch die Pickelhaube wird klar: Das ist ein deutscher Soldat, die anderen sind Briten. Keiner der Männer lächelt. Keiner berührt den anderen. Aber sie stehen relativ nah beieinander.
Das sind Männer, die noch wenige Stunden vorher erbittert aufeinander geschossen haben und jetzt spontan ihre Waffen niedergelegt haben. In gebrochenem Deutsch und gebrochenem Englisch unterhalten sie sich über ihre Bräuche. Sie singen zusammen, sie tauschen kleine Geschenke aus und sie essen gemeinsam.
Solche spontanen Waffenruhen gibt es verschiedene an der gesamten Front. Nicht die ganze Front versinkt in Waffenruhe, es gibt immer wieder Stellen, an denen weitergekämpft wird. Aber es gibt mehrere spontane Waffenruhen, von denen wir wissen. Es gibt mindestens ein Fußballspiel, das spontan am 26. zwischen britischen und deutschen Soldaten stattfindet. Wer jetzt nun gewonnen hat, ist nicht überliefert und wahrscheinlich auch nicht wichtig. Es werden Knöpfe und Mützen ausgetauscht, als Souvenirs, als Andenken, als Tauschwährung.
Und das Ganze ist so bemerkenswert, dass es zu einer weltweiten Sensation wird. Speziell die britische Presse berichtet ausführlich darüber. Und ich finde, es zeigt auch, wie idiotisch Kriege sind.
Den Befehlshabern bleiben diese Ereignisse freilich nicht verborgen. Zwar lässt man die Soldaten über die Weihnachtsfeiertage gewähren, trifft dann aber trotzdem Maßnahmen, um zukünftige spontane Waffenruhen zu verhindern und tauscht die jeweiligen Befehlshaber auf beiden Seiten aus.
Heute wissen wir, wie erbittert und jahrelang dieser Krieg weiter toben wird. Mit seinen knapp 25 Millionen toten spottet dieser Konflikt jeder Beschreibung und im Grunde kennt der Erste Weltkrieg am Ende nur Verlierer.
Aber diese Geschichte vom spontanen Weihnachtsfrieden und die Bilder, die von diesem Ereignis erhalten geblieben sind, sind absolut bemerkenswert. Und bleiben leider auch einzigartig. Derartiges hat sich, soweit wir das wissen, später dann nicht mehr wiederholt.
Seit Kameras klein genug sind, sind sie überall, wo Menschen sind. Deswegen zeichnen Kameras auch die schönsten, aber eben auch die grausamsten Momente unserer Geschichte auf. Von der Geschichte heute wissen wir nur, weil Soldaten heim geschrieben und Bilder mitgeschickt haben. Und diese Bilder zeigen, wie kompliziert wir Menschen manchmal sind. Da verbrüdern sich Todfeinde für wenige Stunden und nutzen die Gelegenheit, ein gemeinsames Erinnerungsfoto zu schießen. Menschheit in a Nutshell.
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