16. Mai 2021

Die Geschichte der Bildmanipulation

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Es gibt Diskussionen die sind so alt wie die Fotografie selbst. Manche glauben mit der Diskussion um Bildmanipulation hätten wir ein neues Thema für uns entdeckt dabei haben schon die vielgelobten „alten Meister“ manipuliert was das Zeug hält.

Nachtrag: In der ersten Fassung der Folge behaupte ich noch fälschlicherweise Lenin hätte Bilder manipuliert. Es war natürlich richtigerweise Stalin derjenige der politische Gegner entfernen ließ. Danke an Sylvie für den Hinweis!


Abraham Lincoln
John C. Calhoun

General Grant at City Point

Transkript

Die Geschichte der Bildmanipulation

Heute beschäftigen wir uns mit einem Thema, das so alt wie die Fotografie selbst ist. Trotzdem haben wir anscheinend immer wieder das Gefühl, das Thema komplett neu für uns zu entdecken. (Musik) Fotomenschen. Es gibt Themen in der Fotografie, über die seit jeher gestritten wird. Kann Fotografie zum Beispiel Kunst sein, wo sie doch nur festhält, was sowieso schon da ist? Nummer zwei: Ist das Manipulieren von Bildern, sei es mit Ausschnitt oder Bildbearbeitung, Irreführung des Betrachters oder legitimes Ausdrucksmittel? Nummer drei: Entsteht Fotografie im Kopf der Fotografin, in der Nachbearbeitung, bei ihrer Verwendung oder vielleicht sogar erst im Kopf der Betrachtenden? 

Man könnte gerade weitermachen. Wer momentan die aktuellen Nachrichten rund um das Medium verfolgt, dem wird nicht entgangen sein, dass es einen Trend zur Bildnachbearbeitung gibt. Bilder, die ursprünglich mal in schwarz weiß aufgenommen wurden, werden nach koloriert. Lächeln werden in eigentlich ernst schauende Gesichter montiert. Die Software wird kurz gesagt immer intelligenter. Kann man Bildern denn dann überhaupt noch so wie früher vertrauen? Schauen wir uns dieses früher mal ein bisschen näher an. 

Die Königin der Bildbearbeitungsprogramme ist ganz eindeutig Photoshop. Photoshops Geschichte beginnt 1988. Da war ich knapp 12 Jahre alt. Der Doktorand Thomas Knoll war damals wahrscheinlich ein bisschen älter. Er beschäftigte sich für sein Studium mit bildverarbeitenden Systemen. Sein Bruder arbeitete in der Zeit bei Industrial light and magic. Das war die von George Lucas gegründete Special Effects Firma. 

[Einspieler] I just started in ILM and I should be working (?over) a year. A few months later I was visiting Tom, who was PHD candidate at the university Mishigen. His thesis work was on vision systems. He has written all his image processing tools. It actually was kind of striking, how similar what Tom had written was, to what I had seen on the (?Pixar). When I got the (?Dem or the Pixar) it seemed so exciting. It was something I really wanted to have, but it was very expensive and exclusive.

John führte bei Industrial Light and Magic mit modernster Hardware und Software kleine, dafür aber sehr teure Änderungen am Filmmaterial durch.

[Einspieler] Then Tom was doing this work on his thesis on a (?Mac and tosh plus), a computer, that I had. Suddenly it seemed like it is worth in reach, that I can have a computer of my own, which can do the same sorts of things.

Sein Bruder Thomas hatte für sein Studium mit handelsüblicher Standard Hardware kleine Tools zur Bildbearbeitung. Das war unter anderem ein Produkt, das er Display nannte. Es war in der Lage, Graustufen Bilder auf einem monochromen, also schwarz weiß Monitor, darzustellen. Diese ersten Gehversuche sah John und war tief beeindruckt. Da musste keine zehntausende Euro teure Hardware werkeln. Man konnte alles mit Technik von der Stange machen. Er belaberte seinen Bruder, aus dieser kleinen Sammlung von Utilities ein Bildbearbeitungswerkzeug zu machen. 

Es sollte Image Pro heißen. Den Namen hatte leider schon jemand anders reserviert. Die zweite Wahl war dann Photoshop. Photoshop 007 kam 1988 raus und erregte von Anfang an Aufmerksamkeit, da es Dinge konnte, die andere Software bis dahin nicht konnte. Die damals noch junge Firma Adobe sieht das Potential in der Lösung und kauft die Rechte an Photoshop. Das war wahrscheinlich der Tag, an dem Tom und John beide zu Millionären wurden. 34,5 Millionen US Dollar hat diese Lizenz gekostet. Am 01. Februar 1990, drei Tage vor meinem vierzehnten Geburtstag, kommt Photoshop Version 1.0 für den Mac raus. Das hat damals 300 Dollar gekostet. Verglichen mit der heutigen Plattform konnte es nichts. Verglichen mit dem bisher existierenden, war die Werkzeug Palette von Photoshop revolutionär. 

Noch im selben Jahr kamen bis heute verwendete Erweiterungen wie ein Stift Tool, um in der Software nicht nur zu manipulieren, sondern direkt malen zu können. Pfade, Unterstützung für Druckfarben kamen. Ab jetzt ging es Schlag um Schlag. Photoshop wurde für jedes Genre der Bildbearbeitung so wichtig, dass es aus dem heutigen Werkzeugkasten professioneller Fotografen, Mediengestalter, Designer jeglicher Art, absolut nicht mehr wegzudenken ist. Photoshop ist für uns so wichtig, dass die Brüder John and Tom Knoll 2019 mit dem Oscar dafür ausgezeichnet werden. Der Oscar wird nämlich von der Academy für Motion Pictures and Science verliehen. In dieser Science Sparte waren die beiden die Gewinner. Man könnte 1988 also als den Startpunkt für die moderne Bildmanipulation festlegen, wären da nicht schon seit Jahrzehnten andere Meister am Werk. Fotografinnen und Fotografen waren sich schon immer bewusst, dass sie die Wirklichkeit darstellen. 

Dass sie manipulierend eingreifen, wie das Bild im Endeffekt aussehen würde, hing sehr von der Wahl der Mittel ab, mit denen fotografiert wurde. Welche Chemikalien wurden verwendet, um den negativ Träger zu bearbeiten? Womit wurde belichtet und entwickelt? Welche Objektive kamen zum Einsatz? Welchen Bildwinkel wählte man? Man konnte all das auch als Manipulation verstehen. 1903 schreibt Edward (?Steichen), der einer der großen einflussreichen Gestalten der Fotogeschichte ist, dass Fotografien von Anfang bis Ende nur als Fake verstanden werden können. Every photograph is a fake from start to finish. Steichens große Leidenschaft galt der Fotografie als Kunst. Er organisierte Ausstellungen und war Herausgeber eines der einflussreichsten Fotomagazine aller Zeiten Camera Works, ganz zu schweigen von seinen eigenen Arbeiten. 

Er war in der Bearbeitung seiner Bilder nicht zimperlich. Viele ziehen eine Linie zwischen Fotos, wie sie in der Kamera entstanden sind und später veränderten Bildern. Wenden wir uns erstmal der späteren Veränderung zu. In der digitalen Welt ist das ganz eindeutig voneinander getrennt. Ich mache das Foto in der Kamera. Wenn ich da ein J Pack erzeugt habe, bin ich schon fertig. Ich kann diese Datei weitergeben. Eine moderne Digitalkamera ist natürlich nichts anderes, als ein Computer. Eigentlich hat diese Kamera schon basierend auf den vorgenommenen Einstellungen diese Bilddaten irgendwie manipuliert und verändert. Vielleicht habe ich da auch schon Entscheidungen getroffen, die verändernden Charakter haben. Nehmen wir das alles mal auf die Seite. Das Bild ist dann tatsächlich als Produkt fertig. 

Fotografinnen und Fotografen posten das dann gerne mit dem Hashtag SOOC oder OOC für straight out of camera auf Instagram und co und brüsten sich damit, dass sie das Gerät technisch gemeistert haben und dass sie in erster Linie auf Licht und Farbe und weniger auf Veränderung in Software geachtet haben. Diese Unterscheidung gab es so früher nicht. Mit dem fotografierten Bild war ich mit Nichten fertig. Damit hätte ich gar nichts anfangen können. Das Bild musste als nächsten Arbeitsschritt entwickelt und gedruckt werden. Das was wir heute manchmal als J Pack rumreichen, war damals das ausbelichtete Bild. Zwischen der Aufnahme in der Kamera und dem fertig in der Hand zu haltenden Bild waren eine Unzahl von Arbeitsschritten. Erstmal musste der Film entwickelt werden. 

Schon die Wahl der Chemikalien, die Temperatur der Flüssigkeiten, die Dauer in den verschiedenen Bädern hatte Einfluss darauf, wie körnig, hell, dunkel, scharf, unscharf das Bild war. Das war also schon eine kreative Entscheidung. Hatte man dann den Film fertig entwickelt, kam der nächste Arbeitsschritt: Das Ausbelichten auf Fotopapier. Auch hier ist die Frage, welches Fotopapier, wie lange, welche Teile des Negativs dürfen wie lange ausbelichtet werden? Es ist diese Phase, in der Meister der Fotografie wie der berühmte Landschaftsfotograf Ansel Adams ihre wahre Meisterschaft zeigen. Er hat nicht einfach das Negativ wie es in der Kamera war genommen und einfach platt durchbelichtet. Ansel Adams entwickelte es zur Kunstform, mithilfe sogenannter Abwedeln und Nachbelichten Teile der Bilder aufzuhellen und abzudunkeln. 

Ansel Adams‘ Kunst entstand in der Dunkelkammer, wenn er seine Prints fertigte. Sie entstand durch gekonnte Bildmanipulation. Wenigstens haben sie nichts hinzugefügt oder weggenommen, könnte man einwerfen. Man will naja antworten. Tatsächlich hatten schon die allerersten Landschaftsfotografen damit zu kämpfen, dass ihr eingesetztes Medium nicht in der Lage war, gleichzeitig helle Himmelsstrukturen und dunkle Landschaftsstrukturen abzubilden. Die Fotografen behalfen sich damals durch das machen mehrerer Aufnahmen. Es war eine Aufnahme des Himmels, eine Aufnahme der Landschaft. Diese wurden in der Dunkelkammer übereinandergelegt. Wer in der Fotowelt zuhause ist und in letzter Zeit eine Software namens Lumina gesehen hat, oder sich über die neuen Möglichkeiten von Photoshop, Himmel künstlich in Bilder reinzumontieren gefreut hat, der kann sich da erinnert fühlen. Das ist eigentlich genau das gleiche, nur statt mithilfe von Software handgemacht. 

Die Fähigkeit, Bilder ineinanderzumontieren endete natürlich nicht bei Himmel und Landschaft. Es gibt Fotos, von denen tatsächlich erst jetzt entdeckt wurde, dass sie eigentlich Fotomontagen waren. Ein prominentes Beispiel ist der Bürgerkriegsgeneral Ulysses Grant. Ein Foto zeigt ihn angeblich, wie er 1865 auf einem Pferd seine Truppen inspiziert. Über ein Jahrhundert lang glaubte man, diese Aufnahme stamme von dem berühmten Bürgerkriegsfotografen Mathey Brady, zu dem wir gleich kommen. Der hatte nach seinem Tod seine Negative seinem Neffen (?Elsy Handy) vermacht. Der hatte begonnen, Drucke davon zu fertigen und neu zu verkaufen, wie auch diesen Druck von Julissus Grand. Heute wissen wir, dass dieser Druck so nie als Aufnahme gemacht wurde, sondern eigentlich eine Montage aus drei verschiedenen Aufnahmen ist. Es gibt die Szene im Bürgerkriegslager. Es gibt eine Aufnahme vom Pferd und den Oberkörper Grands, der draufmontiert wurde. Das hat irgendwie niemand bemerkt. Dieses Foto gibt es bis heute ohne einen weiteren Hinweis auf Manipulation. Menschen glauben, dass es so gewesen sein könnte. Man könnte sagen, dass er wahrscheinlich irgendwann mal Truppen inspiziert hat. Vermutlich hat es so ähnlich ausgesehen und überhaupt: wen interessiert es? 

Ist es aber überhaupt noch Fotografie? Die Frage behalten wir im Hinterkopf und gehen nochmal zurück. 

Mathew Brady ist Bürgerkriegsfotograf, der ein Fotostudio in New York am Broadway betrieb. Wir haben Februar 1860, als in diesem Studio eines der berühmtesten Porträts des späteren US Präsidenten Abraham Lincoln entsteht. Abraham Lincoln wird zu Protokoll geben, dass er seine Präsidentschaft Matthew Brady verdankt. Nicht mehr und nicht weniger. Zu der Zeit befand sich Abraham Lincoln im Wahlkampf. Das Gerücht hatte um sich gegriffen, er sei hässlich wie die Nacht, klein, gebeugt, gedrungen, lange Finger wie ein Gnom. Damit gab es eine Menge negative Presse und negative Berichterstattung über sein angeblich furchtbares Äußeres, statt sich mit der Frage zu beschäftigen, ob er die junge Nation anführen könnte. Abraham Lincoln wusste, der einzige Weg, das zu ändern, wäre ein Gegenbeispiel zu schaffen und ein visuelles Mittel zu finden, das Volk vom Gegenteil zu überzeugen. Mathew Brady war der Mann, dem er dann sein Vertrauen schenkte. Brady schritt zur Tat. Er kürzte die Finger, sorgte dafür, dass das Bild aufrechter wirkte, verlängerte den Hals, glättete einige der Spuren in Abraham Lincolns Gesicht. 

Es war allgemein ein hervorragendes Porträt, von dem ab da Zeichnungen und Prints gefertigt wurden. Es trat eindeutig den Gegenbeweis an, dass Abraham Lincoln gar nicht so hässlich war. Dieses Porträt ist interessanterweise nicht die einzige frontale Bildmanipulation, die wir kennen. Es gibt ein anderes berühmtes Bild, wo Abraham Lincoln neben einem Tisch steht. Es stammt auch aus den 1860ern und wurde von einem anderen Fotografen gefertigt. In dem Fall wurde Lincolns Kopf auf den Körper des US Politikers John Calhoun montiert. Letzterer sah sehr aufrecht und herrschaftlich aus. Lincoln wollte wohl auch so aussehen. Durch die gesamte Geschichte der Fotografie wurden Fotos mal mehr, mal weniger, verändert. Wir können gar nicht fotografieren, ohne die Wirklichkeit anzupassen. 

Jede Fotografie ist mindestens eine Interpretation der Wirklichkeit. Im Grunde manipulieren wir Licht, Schatten, Ausschnitt und manchmal noch viel mehr, um ein Ergebnis zu erzeugen, das wir gut finden. Wir montieren heute Lächeln in Gesichter, ändern Farben oder stempeln störende Elemente aus Bildern raus. Das konnten gekonnte Bildbearbeiter seit über 100 Jahren ohne weiteres in der Dunkelkammer nachbilden. Ein populäres Beispiel ist die Bildmanipulation, die im Auftrag Stalins stattfand, der notorisch bekannt dafür war, dass er frühere Weggefährten, die später zu seinen politischen Gegnern wurden aus historischen Fotografien entfernen ließ. Wenn es hieß, man müsse Schulbücher neu drucken, dann wurden einfach Schulbücher neu gedruckt. Wann ist sowas gut und wann unredlich? Ich persönlich glaube, dass die Linie beim Zweck der Fotografie verläuft. 

Ist der Anspruch ein journalistischer, sind weniger Veränderungen akzeptabel, als wenn wir versuchen, eine künstlerische Aussage zu treffen. Qualitativ gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Bild, in schwarz weiß umzuwandeln oder komplette Bildelemente aus anderen Aufnahmen einzufügen oder zu entfernen. Man konnte Fotografien jedenfalls noch nie vertrauen. Sie fühlen sich so verdammt echt an. Verändern konnte man sie aber schon immer. (Musik) Fotomenschen. Im 20. Jahrhundert galt es manchen Fotografen als verwerflich, Bilder zuzuschneiden. Um zu zeigen, dass die Bilder nicht zugeschnitten waren, druckten sie die Bilder inklusive der Stanzungen außenrum, sodass man sehen konnte, dass das Negativ unangetastet war. 

Nachbelichten und abwedeln war nicht so schlimm und vor allen Dingen unvermeidlich, da man so oder so in die Dunkelkammer musste, in der eben nochmal interpretiert wurde, wie das Bild aussehen würde. Heute sind wir stolz, wenn wir straight out of camera Bilder produziert haben, solange wir es nicht ausdrucken wollen und solange uns egal ist, wie die Bilder auf unterschiedlich kalibrierten Monitoren aussehen und solange uns egal ist, dass Plattformen wie Instagram oder Facebook unterschiedliche Farbdarstellungen wählen. Aber dann ist es straight out of camera. Es ist im ernst cool. 

Es ist eine Errungenschaft. So wie früher beim Film einlegen, können wir heute einen Stil in der Kamera wählen. Anders als früher beim Film müssen wir nicht mehr belichten. Wir müssen nicht mehr ausdrucken. Wenn wir wollen können wir an der Stelle fertig sein. Lieben Dank. Schaut euch an dieser Stelle Erik Schlicksbier an, der nicht nur den großartigen Podcast Studio Kreativ Kommune, sondern inzwischen auch einen weiteren Podcast Analoge Angelegenheiten macht und mich zu dieser Folge überhaupt erst inspiriert hat. Ich möchte Jürgen für eine super nette Apple Podcast Rezension und Hören statt Lesen für eine Rezension auf Podcast Adict danken. Ich freue mich immer, wenn ich von euch ein nettes Feedback bekomme, sei es im Blog auf Fotomenschen.net oder in einer der vielen Plattformen, wo man Sterne Wertungen oder Review Texte hinterlassen kann. Das ist super cool. Wer diesen Podcast gut findet und unterstützen möchte, erzählt anderen, dass es ihn gibt. Empfehlt den Podcast, besprecht den Podcast und lasst mich wissen, wenn ihr irgendwelche Themenwünsche habt. Bis bald.

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