30. Januar 2022

Die Schöne und das Biest?

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

1981 waren der Fotograf Richard Avedon und die Schauspielerin Nastassja Kinski auf den Höhepunkten ihrer Karrieren und trafen sich zu einem Fotoshooting in dem eine berühmtesten Aufnahme entstand die bis heute immer wieder nachgeahmt wird.


Transkript

Eigentlich wollte Richard Avedon Poet werden. Zumindest versuchte er das zu studieren an der Columbia University. Geboren und aufgewachsen in New York hatte er durch seine Eltern schon früh Zugang zur Modeindustrie und er war 12 als er zum ersten Mal eine Kamera in die Hand gedrückt bekam. Schriftsteller wollte er eigentlich auch werden, auf jeden Fall etwas mit Kunst. Naja, von all diesen Disziplinen wissen wir ja heute, wurde es letztlich die Fotografie, und zwar speziell die Modefotografie.

Mitte des 20. Jahrhunderts, waren die Bildstrecken in großen Magazinen mit eine der Haupteinnahmequellen für Fotograf/-innen. Entertainment und Mode waren große Geschäftszweige und wer es schaffte sich entweder in Werbefotografie, in Modefotografie oder in dem großen Feld der Reportage zu etablieren konnte gutes Geld verdienen.

Richard Avedon entschied sich früh für Mode, Magazine wie Vogue, Harper’s bazaar oder Life beauftragten ihn und es dauerte nicht lange und er fotografierte Stars und Sternchen. Seine Models waren lebhafter, dynamischer als der damals überwiegende Stil, der in den Magazinen gepflegt wurde.

Er versuchte seinen Models nahezukommen, etwas Wahres, ein Stückchen ihrer Seele zu fotografieren und Richard Avedon war der Überzeugung, dass das geht. Dadurch wurden aus seinen Bildern allerdings Kunstwerke, es ging nicht nur noch um den Verkauf von Mode oder Accessoires oder um das Darstellen von Sternchen, sondern er versuchte einzigartige Motive zu schaffen. Diese Ideen trugen ihn über 5 Jahrzehnte Fotografie hinweg, Richard Avedon hatte Marylin Monroe und Hilary Clinton vor der Kamera. Und es entstanden viele berühmte Fotos. Für die Episode heute geht es mir um ein Foto, dass er 1981 machte. Avedon war von Vogue beauftragt worden, eine der heißesten Starletts der damaligen Zeit zu fotografieren: Nastassja Kinski. Die hatte mit ihren damals gerade mal 21 Jahren schon eine recht illustre Karriere und diverse Skandale hinter sich. Mit nur 13 Jahren hat sie ihre erste große Rolle in einem Film von Wim Wenders und macht Schlagzeilen, denn in diesem Film ist sie, als 13-jährige, oben ohne zu sehen.

Was sie dann zwei Jahre später mit 15 in einem anderen Film durch eine komplette Nacktszene noch übertraf. Es muss auch dieses Jahr gewesen sein als sie Roman Polanski auf einer Party kennenlernt. Der rät ihr sich mit Method Acting zu beschäftigen, einer Schauspieltechnik, bei der man sich komplett in die Rolle fallen lässt und versucht diese auch im Alltag relativ intensiv weiter zu leben. Es kam das Gerücht auf, dass der damals 45 jährige Roman Polanski mit der gerade 15 Jahre alten Nastassja Kinski eine Liebesbeziehung anfing, eine Behauptung, die zu dem, was wir über Roman Polanski zu wissen glauben passt, die aber von beiden immer wieder bestritten wird.

Nastassja Kinski jedenfalls reitet die Welle, sie ist nicht nur ein auftseigender Star in Hollywood und räumt einen Preis nach dem anderen ab, sie ist auch der feuchte Männertraum ihrer Generation. „Sex sells“ denkt sie sich, „Sex sells“ denken sich die Männer um sie herum und so wird sie gnadenlos von einer sexualisierten Industrie ausgenutzt, wobei die Grenze zwischen Ausnutzen und einer von ihr aktiv mit voran getriebenen Sexualisierung schwer zu ziehen ist.

Sie ist jedenfalls auf dem Höhepunkt ihrer Modeling, Schauspiel und ihrer Sexsymbol Karriere als sie eben 1981 auf Richard Avedon trifft. Sie hatten zwei Stunden geplant und in diesen zwei Stunden mussten originelle Fotos entstehen und nach allem über diesen Fotoshoot hört und liest muss es erstmal ziemlich öde gewesen sein. Richard Avedon hat natürlich Ressourcen, die andere nicht haben und so gab es anscheinend einen ganzen Zoo von verschiedenen Tieren, die er für diesen Fotoshoot bereitgehalten habe. Sie würde, so die Idee, mit Modeaccessoires und eben diesen verschiedenen Tieren posieren und dabei idealerweise nackt sein.

[Einspieler]

„We brought in all kinds of animals, like monkeys, two snakes and a papagei and you know theses big birds and all of that.“

Und keins dieser Bilder schien wirklich so richtig erfolgreich zu sein, irgendwann schlug Nastassja dann vor, dass eine der am Set anwesenden Schlangen, eine Boa constrictor, doch vielleicht das ideale Tier für den Fotoshoot wäre. Und eine Boa constrictor ist eine gewaltige Schlange, bis zu 3,60m wird die lang. Nastassja Kinski legte sich also nackt auf den Betongboden und die Schlange wurde ihr auf den Körper drapiert, außer einem meiner Meinung nach ziemlich hässlichem Armreif hat sie nichts an. Auf dem Bild ist eine brillante Komposition zu sehen, die Schlange schlängelt sich an ihren Beinen über ihren Scharm hinweg bis zu ihrem Ohr und Richard Avedon schaffte es genau die Millisekunde festzuhalten, in der die Schlang in Nastassja Kinskis Ohr zu züngeln scheint.

Sie schaut dabei völlig ruhig in die Kamera.

[Einspieler]

„Did it frighten you to be engolved in the Snake, to be wrapped up – No, no – didn’t frighten you? – No, I think it was more frightened than I was, she was very afraid of every movement my body did, so as soon as I did a movement she would do a movement and we would keep on moving and we would never, you know, sort of get to each other. „

Auf die Frage, ob sie Angst gehabt hätte sagt Nastassja Kinski: „Ne, eigentlich garnicht“, sie ist der Meinung, die Schlange hatte eigentlich mehr Angst vor ihr als umgekehrt, immer wenn sie sich bewegte oder irgendwas an dem Set sich veränderte, schien die Schlange zu erschrecken und zuckte sich oder bewegte sich, anders als der Bildaufbau es eigentlich nahelegen würde. Und so bastelte man mit dem Tier an dem Set herum, bis es eben genau diesen einen perfekten Augenblick gab und ein Foto schuf, von dem alle, die den Abzug sahen, sofort wussten, das ist ein Winner.

Vogue kaufte das Bild, es wurden Poster gedruckt und das Motiv ging um die Welt, Nastassja Kinski war sowieso schon Sexsymbol, ab jetzt hing sie als nackte Schönheit mit Schlange in den Teenagerzimmern der Welt. Und natürlich kommt hier viel zusammen, da ist einmal ihr wirklich ruhiger und kontrollierter Blick, die Erotik, die dieses Bild ausstrahlt, die Assoziation mit der Schöpfungsgeschichte, mit der Schlange, die Eva verführt, sie züngelt ihr ja ins Ohr. Und dann kommt noch dazu, dass Schlangen, besonders diese, die sich um Frauenkörper winden, ein Jahrtausende altes Fruchtbarkeitssymbol sind.

Das Foto wird jedenfalls so ikonisch, dass es danach immer wieder zitiert und nachgeahmt wird, so ließ sich beispielsweise Jennifer Lawrence von dem Fotografen Patrick Demarchelier mit einer Boa Constrictor liegend, nur mit einem Armband bekleidet fotografieren.

Und mal ganz ehrlich Leute, irgendwie ist es doch bizarr, oder? Ich meine wie stelle ich mir die Planung für so einen Fotoshoot vor: „Ja also wir dachten wir machen einen künstlerischen Akt, einen Akt der die Unabhängigkeit und die kraftvolle Selbstbestimmung unseres Models betont. Sie wird nackt auf dem Bauch liegen und die Kamera und damit den Betrachter direkt fixieren und für den künstlerischen Ausdruck dachten wir, bringen wir noch eine animalische, erotisierende Komponente ins Bild, wie wäre es, wenn eine Boa constrictor über ihren Körper schlängelt? [ Einspieler Applaus]

Allerdings muss ich zugeben, gerade wenn ich diese beiden Fotos, die ich heute erwähnt habe, also die Aufnahme von Nastassja Kinski und die von Jennifer Lawrence vergleiche, wird schon klar, warum „Nastassja Kinski and the serpent“ von Richard Avedon die berühmtere Aufnahme ist.

5 Responses

  1. Bettina sagt:

    Hallo Dirk, habe deinen Podcast erst kürzlich entdeckt und innerhalb kürzester Zeit fast alle Folgen gehört. Super interessant, toll aufgemacht und mit sehr sympathischer Stimme gesprochen. Bin gespannt was du künftig ausbuddelst, da draußen gibt’s ja noch so Vieles zu entdecken und ich freu mich drauf was du daraus machen wirst. Danke für deinen Einsatz!

    • Dirk sagt:

      Hallo Bettina,
      vielen Dank für die nette Rückmeldung! Solche Nachrichten halten mich auf jeden Fall noch für viele zukünftige Folgen bei der Stange 🙂
      LG Dirk

  2. Andrea sagt:

    Hallo Dirk,

    ich bin ueber den Herstory Podcast auf deinen tollen Pod gestossen und habe in den letzten zwei Wochen alle deine Folgen „binge“-gehoert. Als Fotografin hatte ich die Lust an dem Konzept Fotografie komplett verloren. Erst vor Kurzem habe ich bei Kollegen angefragt, ob es Strategien gaebe die Leidenschaft fuer das Fotografieren wieder zu entdecken. Kein einziger Rat hat mir dabei geholfen. 52 oder 365-Projekte sind nicht mein Ding. Da waere meine Lust noch mehr vergangen. Durch deine Podcasts hast du in mir etwas wiederbelebt, das ich durch die Arbeit komplett vergessen hatte. Jede Folge redet, wenn auch oft indirekt, von der Leidenschaft und dem Drang die Welt in Bilder einzufangen. Die Perspektiven zu aendern und mit anderen Augen zu beobachten. Ploetzlich konnte ich wieder diese anderen Winkel sehen und erforschen und jetzt kommt die Freude am Fotografieren wieder. Danke sehr fuer dieses Geschenk. Und ich freue mich sehr auf weitere Folgen.

    Und einen Themenvorschlag haette ich auch: Farbfotografie. Wann wurde sie entwickelt? Wie? Von wem? Was waren die Herausforderungen und wann wurde sie Mainstream?

    Liebe Greusse aus Australien
    Andrea

  3. AnneG sagt:

    Hallo Dirk,
    Ich feiere gerade deinen wunderbaren Schlusskommentar….wer verarscht hier wem….absolut auf den Punkt wie immer. Ich bin auch über die Herstory-Folge auf deinen exzellente Podcast gestoßen und hab jetzt innerhalb von 1 Monat fast alle deine Folgen gehört. Wirklich toll, ich wollt dir einfach mal ein dickes Dankeschön da lassen.

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