2. Mai 2021

Koronafotografiegeschwurbel

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Niemand weiß ob es vielleicht doch einen „Energiekörper“, also eine sogenannte Aura gibt. Allerdings wissen wir mit einiger Sicherheit dass die üblichen Verfahren zur „Aurafotografie“ nicht geeignet sind um den eigenen Astralleib zu dokumentieren…


Transkript

Haben Menschen eine Aura? Kann man die fotografieren? Das sind Fragen, denen wir heute nachgehen und vorher ein Wort der Warnung: bloß nicht auf YouTube zu dem Thema recherchieren.

Das erste Mal in einer Dunkelkammer stehen und dabei sehen, wie ein Foto Wirklichkeit wird – das ist ein magischer Moment. Zumindest nennen viele Fotografinnen und Fotografen diesen Augenblick als den Moment, in dem sie beschlossen haben: Fotografie wird ihre Leidenschaft.
Und diese Faszination war schon immer Teil der Fotografie. Es ist ein Verfahren, um unsichtbares sichtbar zu machen. Selbst, wenn wir ein direktes Abbild der Umgebung aufnehmen, ist es dann doch die Vision des Fotografen, die wir sichtbar machen.
Fotos sind immer dann am besten, wenn sie etwas zeigen, was wir nicht erwarten. Also einen Blickwinkel, den wir so noch nie gesehen haben, eine Farbgebung, die uns überrascht oder Dinge, die man mit bloßem Auge tatsächlich gar nicht wahrnehmen kann, wie zum Beispiel bei der Makrofotografie oder Infrarotfotografie oder Röntgenfotografie. Fotografie kann also dafür herhalten, um zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Um Goethe kurz zu zitieren.

Und schon ganz früh beginnen Fotografinnen und Fotografen damit, eben auch die spirituelle Seite der Welt mit der Hilfe der Fotografie zu erforschen. In Episode 5 erzählte ich davon, wie angebliche Fotos von Feen die Welt begeisterten. In Episode 28 ging es um den Trend der Geisterfotografie. Beides basiert auf einer jahrhundertealten Idee, dass wir nämlich eine sichtbare und eine unsichtbare Welt haben, dass wir Menschen einen Körper und einen Geist haben. Dass wir von Energien umgeben sind, die uns und andere beeinflussen können. Und ist nicht auch Strom zum Beispiel so ein Ding? Man sieht es nicht, aber spüren kann man es und die Auswirkungen sind überall beobachtbar.
Und es sind genau diese Alltagsbeobachtungen und dieser jahrhundertealte Glaube, der dafür sorgen, dass Menschen nicht mal zucken, wenn man ihnen sagt, dass man ihre Aura fotografieren kann. Und es gibt dafür auch Gerätschaften. Die findet man in den Praxen von Heilpraktikern, esoterischen Medien und ganz besonders häufig auf Esoterikmessen.

Vor ein paar Jahren habe ich mir den Spaß mal gegönnt. In München war Esoterikmesse und ich hatte Zeit, also bin ich da vorbeigelaufen. Und schon am Eingang war eine Bude, wo man für gerade mal 30 € seine Aura fotografieren und für weitere 20 dann auch ausdeuten lassen konnte. Das Gerät sah, na ja, so ein bisschen kastig aus: Ein blauer, großer Kasten mit einem Spiegel und man konnte an den ausgestellten Beispielen sehen, dass die Ergebnisse dann doch recht bunt aussahen. Menschen mit umgebenden, bunten Wolken, so würde ich das jetzt mal beschreiben.
Und an der Bude war Andrang. Im Fließbandverfahren ließen sich da Menschen ablichten und dann einen Termin zur Beratung zum Aura lesen zuteilen. Das Verfahren selbst, so klärte ein Plakat auf, ließ sich auf Nikola Tesla höchstselbst und ein russisches Ehepaar zurückführen. Die Theorie außen herum, also Deutungen und so weiter, war dann ein Mischmasch aus New Age Chakrenlehre und alter indischer Weisheit und neumodischem Schwurbelblabla, um Leuten Kohle aus der Nase zu ziehen.

Doch was hat es mit dem Ganzen auf sich? Fangen wir mal von vorne an. Nikola Tesla war tatsächlich einer der Urväter (unfreiwilligerweise) der Aurafotografie, denn seine Arbeit legt einen Grundstein. Denn er hat mit Hochspannung experimentiert. Und das ist vielleicht das Erste, was wir hier vielleicht mal festhalten müssen: Aurafotografie fotografiert eigentlich keine Aura, sondern Aurafotografie fotografiert Entladungen, die durch Hochspannungen entstehen.
Der Fachbegriff dazu ist Kirlianfotografie, benannt nach ihren Entdeckern Semjon Kirlian und seiner Frau Walentina Kirlian. Semjon war Elektriker in Russland. Es lässt sich nicht wirklich viel über ihn herausfinden, aber man weiß, dass er in seiner Jugend einen Vortrag von Nikola Tesla besucht haben soll und davon sehr beeindruckt zurückkam. Er war außerdem sehr talentiert: relativ schnell hatte er sich den Ruf erarbeitet, praktisch alles Elektrische reparieren zu können.
1939 war der Patient ein medizinisches Gerät. Was es genau war, das er repariert hat, konnte ich leider nicht herausfinden, aber es muss ein Gerät gewesen sein, in dem sowohl Hochspannung als auch Filmmaterial zu finden war, denn bei dieser Reparatur entdeckte Kirlian durch Zufall, dass Hochspannung auf Filmmaterial Spuren hinterließ. Das sieht großartig aus und Kirlian fängt an, mit verschiedensten Materialien und Verfahren zu experimentieren. Das Ganze wird unter verschiedenen Namen bekannt: Elektrofotografie ist noch das beschreibendste, mein persönlicher Favorit ist Koronafotografie, denn die Entladungen, die festgehalten werden, sind sogenannte Koronaentladungen.

Es ist dann Kirlian selbst und seine Frau, die nahelegen, dass hier aber eigentlich außerdem die Aura lebendiger Wesen sichtbar gemacht werden kann. Er fotografiert Hände, Blätter und die Ergebnisse sehen auch wirklich faszinierend aus. Er macht verschiedene Experimente, zum Beispiel fotografiert er Pflanzen, während sie verwelken. Und dokumentiert so, dass nach und nach die Korona schwächer zu werden scheint, die Aura also verblasst.
Newager nehmen das als eindeutiges Zeichen, dass hier das Lebendige an diesem Blatt verblasst. Nur leider, also, wenn man es jetzt mal ganz genau nimmt, lässt sich das nicht wirklich halten. Denn legt man einen Schraubenschlüssel auf ein entsprechendes Gerät, stellt man fest: Der hat auch eine Aura. Und die variiert je nach Feuchtigkeit des Trägers, des Schraubenschlüssels und der Umgebungsluft. Es ist ja also ganz naheliegend: Eine verwelkende Pflanze verliert Feuchtigkeit und damit verändert sich natürlich auch der Entladungskranz, den man beobachten kann.
Trotzdem ist Kirlians Verfahren ein Hit, auch wenn sich wissenschaftlich bisher kein Zusammenhang zwischen zum Beispiel Krankheiten und den Fotos herstellen ließ, hindert das die einschlägige Szene nicht daran, entsprechende Gerätschaften zu konstruieren und alle möglichen Thesen aufzustellen, wie denn die allgemeine Chakrenlehre zum Beispiel mit den beobachteten Koronaentladungen zusammenhängen könnte.

Allerdings hat Kirlians Verfahren immer noch einen Schönheitsfehler. Man kann zum Beispiel nur sehr schwer einen ganzen Menschen fotografieren. Da war dringend technische Innovation notwendig. Vielleicht noch gepaart mit Geschäftssinn. Und wo lässt sich mehr Innovation und Geschäftssinn finden als im Silicon Valley der 70er und 80er Jahre?
Damals wurden buchstäblich dutzende Unternehmen in Garagen gegründet. Und mehr als nur einmal wusste man von den Gründern, dass sie sowohl der Esoterik als auch Drogenexperimenten einigermaßen zugeneigt waren. Apple zum Beispiel. 1976. Und Steve Jobs, na ja, der hat schon das eine oder andere Stöffchen mal ausprobiert, sagen wir es mal so.

Steve Jobs hat jetzt nichts mit unserer Geschichte zu tun, aber die Zeit und der Ort stimmen. Es ist nämlich diese Dekade, in dem der Kalifornier Guy Coggins anfängt, sich für die Aurafotografie nach Kirlian zu interessieren. Und sofort erkennt, dass es hier einen Markt geben muss. Amerikaner haben ja mittlere Namen und Guy A. Coggins heißt tatsächlich mit Mittelnamen Aura. Also „Aura“: Manche Zufälle sind einfach zu bizarr.
Aber egal. Guy konstruiert ein Kamerasystem, Auracam 3000, das im Prinzip eine Doppelbelichtung auf Polaroidband ist. Das erste Bild zeigt da einfach den Menschen vor der Kamera und das zweite Bild wandelt die aufgenommenen Werte über die Elektroden in Farbwerte um, die dann innerhalb der Kamera auf das Polaroid darauf belichtet werden, mehrere Sekunden lang in der Regel. Und so ergibt sich ein Mensch in einer Farbwolke. Diese Farbwolke wird hinterher analysiert und gedeutet und zeigt angeblich die Aura.
Das System, inzwischen weiterentwickelt als Auracam 6000 auf dem Markt, lässt sich für schlappe 10000 Dollar erwerben und hat den Scham eines antiken Nadeldruckerumschaltgeräts. Inzwischen gibt es Teile des Systems auch voll digital, das heißt, man kann nur die Sensoren kaufen und mit der passenden Software WinAura dann am Computer eine Aura berechnen lassen. Oh, und inzwischen, man geht ja mit der Zeit, hat Guy auch ein Unternehmen gegründet, um Aura in Virtual-Realitysystemen analysieren zu können.

Die ganze Szene blüht und gedeiht. Es gibt eine riesige Menge an Seminaren, die buchbar sind. Es gibt Podcasts, es gibt YouTube Kanäle, Aurafotografie ist der Hit. Und sie zeigt nichts anderes als hübsch anzusehende Entladungen oder einen künstlich im Computer oder Gerät erzeugtes Farbspektrum. Damit man halt so ein bisschen esoterischer aussieht.
Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Aurafotografie tatsächlich keinerlei Energiekörper fotografiert. Denn fotografiert man ein Blatt zum Beispiel im Vakuum, gibt es plötzlich keine Entladungen mehr. Die brauchen nämlich diesen Träger außen rum, die feuchte Luft, über die eben kleine Blitze springen können. Es ist also leider kein Energiekörper, der fotografiert wird und es hat vermutlich auch nichts mit den Chakren oder was Schwurbler sonst noch so alles heranziehen zu tun, es ist einfach nur ein fotografisches Phänomen.
Und als solches lohnt sich es vielleicht, mit einer der Selbstbauanleitungen im Netz mal herumzuexperimentieren, um zum Beispiel Münzen oder Blätter oder was auch immer auch mal selbst festzuhalten. Mit einer handelsüblichen Kamera. Ganz ohne Geister-Eso-Schwurbelklimbim. Einfach so, weil es gut aussieht.

5 Responses

  1. Petrina sagt:

    Tolle Idee, ein Technikthema auf diese Weise anzugehen. Ich hätte Aurafotografie in der Zeit seiner Entstehung verortet … wieder was dazugelernt! Bleibt nur die Frage, ob du dir denn zu Recherchezwecken an besagtem Stand so ein Foto gekauft hast. 🙂

    • Dirk sagt:

      Um Himmels Willen, nein! Erstens war da eine Schlange, zweitens gab es Beispiele zu sehen und drittens weiß ich bessere Dinge mit 50€ anzustellen 🙂

  2. philipp sagt:

    Wow. Danke für diesen schönen Artikel der mich vollkommen überzeugt hat. Weil er gut argumentiert ist.

  3. Eik sagt:

    Die Folge wurde übrigens in Happy Shooting Folge: 770 – „Anti-Schwurbel-Schulung“ erwähnt und war die Ursache das Adobe einen Artikel über „Aurafotografie“ von der Webseite genommen hat, nadem ich den Artikel bei HS in den Slack geteilt hab.
    Also die Folge hat schon was bewirkt 😂.

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