10. Juli 2021

Queen of Street Art

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

In den 70ern und 80ern war New York das Epizentrum der Jugendkultur und die junge Reportagefotografin Martha Cooper begann deren Kunst zu dokumentieren. 40 Jahre später ist sie immer noch aktives Szenemitglied und ihr Lebenswerk bereiste mit ihr die Welt.

Medien:


Transkript

Das Wort Streetart beschreibt das inoffizielle Anbringen von Kunst im öffentlichen Raum. Und wenn man dazu Schriftzüge wie den eigenen Namen zählt, gibt es das wahrscheinlich schon seit – naja, immer? So hat man zum Beispiel im alten Pompeji Schriftzüge gefunden. Allerdings haben wir etwas ganz bestimmtes vor Augen, wenn wir von Street Art reden. Und das nimmt seinen Anfang in New York, so ungefähr in den Sechzigern. Und zu unserem Glück ist das eigentlich ganz gut dokumentiert.

Fotomenschen.

Sieht man in einem Film die New Yorker U-Bahn, und ist die U-Bahn von bis unten mit Graffiti bemalt, dann wissen wir sofort, wir befinden uns in den siebziger, achtziger Jahren. Und das liegt hauptsächlich daran, dass Rudy Giuliani in den neunziger Jahren Bürgermeister wurde. Und er war Anhänger der sogenannten Broken Windows Theorie. Deren Idee war, dass Vandalismus, der nicht entfernt, sondern geduldet wird, dazu führt, dass mehr Vandalismus stattfindet und ultimativ zu mehr Kriminalität und Verwahrlosung führen würde. In New York war das sichtbarste Zeichen von Vandalismus die von oben bis unten bemalte New Yorker U-Bahn. Und so machte man sich daran, U-Bahn-Graffiti bei Entdeckung direkt zu wieder zu entfernen. Inzwischen haben wir farbabweisende Lacke und regelmäßige Wartungsintervalle. Und deswegen sind komplett bemalte Züge inzwischen ziemlich selten geworden. Schade irgendwie, denn die Züge damals waren wirklich sehr bunt.

Aber die Geschmäcker sind natürlich verschieden. Und viele fanden es einfach auch unerträglich vollgeschmiert. Und dann kam das Bild des typischen Sprayers dazu. Die vermutete man nämlich in den ärmeren Vierteln der Stadt. Und das sicher nicht ganz zu Unrecht. Das waren die Viertel der Stadt, in denen wenige wirtschaftliche Möglichkeiten auf wenige Freizeitbeschäftigungen trafen, und sich die Jugend deswegen hauptsächlich auf der Straße traf und vergnügte. Das ist die Geburtsstunde gleich mehrerer Jugendsubkulturen.

Es wird sich aufgelehnt gegen die zunehmende Kommerzialisierung der Welt. Punks, Hip-Hopper, Graffiti-Künstler, sie alle lehnen sich gegen den Status quo auf. Und obwohl das alles auf der Straße und in der Öffentlichkeit passiert, wird es zunächst kaum weiter beachtet. Es sind also diese siebziger Jahre, in denen die damals Mitte 20 Jahre alte Martha Cooper mit ihrer Kamera durch die Straßen streift und versucht, interessante Themen für ihre Zeitung zu finden. Sie war Fotografin für die New York Post und unter anderem dafür zuständig, die Füllstorys zu finden. Immer, wenn noch ein bisschen Platz in der Zeitung war, konnte man dort allgemeine Kultur- oder Special Interest Storys unterbringen.

Kleine Anekdoten. Die einzige Bedingung war, es musste Lokalrelevanz haben. Und auf der Suche nach solchen Geschichten lief Martha kreuz und quer durch die Stadt und fotografierte alles mögliche. Als Reportagefotografin interessierten sie die Menschen und wie die miteinander kommunizierten. Sie hatte Kunstgeschichte und Anthropologie studiert. Es ging mir also nicht in erster Linie um die Fotografie, sondern, eigentlich ging es ihr darum, Menschen dabei zu beobachten, wie sie miteinander in Kontakt treten. Auf ihren Streifzügen sieht sie immer wieder die Züge an sich vorbeiziehen, und fotografiert sie munter. Und es war einer dieser Streifzüge, als sie zum ersten Mal Break Dancer sah. Sie war von den Jugendlichen fasziniert, die da an Straßenecken tanzten.

Ihre Fotoeditoren interessierten sich nicht sonderlich für die Geschichte. Noch nicht mal als Füllstoff. Aber sie war fasziniert und begann, diese Jugendkultur zu fotografieren. Kinder und Jugendliche gehörten sowieso zu ihren Lieblingsmotiven. Und es dauert nicht lange, und die Kinder kennen sie. Die Frau mit der Kamera. Manche weisen sie dann auch auf andere Dinge hin, die es zu sehen gibt. Sie haben unter anderem beobachtet, wie sie immer wieder mal die Züge fotografiert. Und eines Tages weist sie eines der Kids, (?Edwin Zerrano), darauf hin, was sie da eigentlich fotografiert. Er zeigt die er nämlich seine Skizzen und erklärte ihr, dass die Schriftzüge, die auf Zügen durch die ganze Stadt gerollt wurden, nichts anderes als Namen und kurze Nachrichten waren. Und er erklärte ja, welche Styles man dort sehen konnte, welche Ideen in der Szene Bewunderung fanden. Und überhaupt, dass es eine ganze Szene von Sprayern gab, die sich nur diesem Thema widmeten. Und Martha geht auf, dass es hier ganz zweifellos um Kunst geht. Dass es eben nicht einfach nur plattes Aufbegehren gegen die Elterngeneration war, was man hier, im öffentlichen Raum beobachten konnte. Und (?Edwin) macht noch mehr.

Er bringt Martha Cooper mit einer damals etablierten und bekannten Sprayergruppe rund um den Graffiti-Künstler Dondi zusammen. Und ab jetzt verbringt Martha jede freie Minute damit, diese Gruppe zu begleiten. Die Kids vertrauen ihr. Sie darf mit zu den illegalen Spraytouren gehen. Sie fotografiert ihren Alltag. Sie porträtiert die Kids und zeigt ihre Kunst. Und das erst mal jahrelang unter dem Eindruck, dass sie die einzige ist, die sich überhaupt für das ganze Thema interessiert, bis ihr jemand erzählt, dass es da anscheinend noch einen Fotografen gibt, der neben ihr unterwegs ist und auch die Züge fotografiert. Sie braucht einige Monate, bis sie ihn tatsächlich ausfindig machen kann. Henry Chalfant. Wie sie, ist er fasziniert von der Streetart, die sich in New York City entwickelt. Anders als sie, interessieren ihn allerdings die Künstler weniger. Die beiden lernen sich jedenfalls kennen und tauschen sich aus. Martha ist von der riesigen Sammlung und den großartigen Aufnahmen, die Henry gemacht hatte, beeindruckt. Und Henry interessiert sich für ihre Porträts und die Szenen, die die Sprayer beim Erzeugen ihrer Kunstwerke zeigen. Für eine Weile haben die beiden so etwas wie freundliche Konkurrenz.

Es geht darum, wer die schönsten Graffiti fotografiert, wer die Tags festhält, die da durch die Stadt fahren. Parallel versucht Martha Artikelstrecken bei großen Magazinen einzureichen. Das ist doch eine Geschichte, die interessant ist, die erzählt werden muss. Aber es interessiert sich einfach niemand für das Thema, oder es wird als zu kontrovers wahrgenommen. Und so kommt die Idee auf, vielleicht ein Buch zu machen. Und sie fragt Henry, ob er nicht mit ihr kollaborieren möchte. Der Arbeitstitel: Art Transit. Sie stellen Beispiele zusammen, machen ein Demobuch und fangen an, die verschiedenen Verleger in der Stadt anzuschreiben. Manche können sich das ganze durchaus als interessantes Projekt vorstellen, scheuen dann aber auf den letzten Metern die Kontroverse. Andere lehnen einfach nur ab. Das Thema wäre doch langweilig und das lässt sich doch gar nicht darstellen. Die Wende kommt, als sie auf der Frankfurter Buchmesse dem britischen Verleger … :07:41# Hudson ihr Demobuch vorlegen. Es ist groß und schwer und wertig. Und sie werden sofort unter Vertrag genommen.

Es wird ein Buch in Übergröße, aber nicht, wie die üblichen Coffee Table Books als Hardcover mit großen, schweren Seiten, sondern eher wie eine Art großes Magazin produziert. Die Arbeitstitel Art Transit oder Art in Transit gefallen dem Verleger nicht. Es wird umbenannt in Subway Art. Und einige tausend Exemplare machen sich auf den Weg in die Buchhandlungen der großen Metropolen. Überwiegend sind diese Graffiti nach wie vor ein New Yorker Phänomen. Einzelne fangen an, in anderen Städten aufzutauchen. Aber so richtig ist das Phänomen noch nicht aus seiner Ursprungsstadt rausgewachsen. Henry und Master fotografieren weiter und hoffen darauf, dass das Buch ein Erfolg wird. Allerdings wird das Buch relativ selten verkauft. Und es geht die Anekdote, dass die Hälfte diese Bücher nach und nach aus den Läden gestohlen und gar nicht bezahlt werden. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber zunächst mal sieht es so aus, als wenn dieses Buch ein Projekt wäre, dass, wie schon andere Projekte, die Martha zuvor angestoßen hatte, zwar interessant, aber nicht wirklich lukrativ gewesen war.

Die ist schon nah dran, die ganze Sache einfach abzuhaken, als ihr bei einem neuen Graffiti-Künstler, den sie kennengelernt hat und anfängt zu fotografieren, eine Kopie ihres Buches in die Hände fällt. Also wirklich eine Kopie, mit einem Fotokopierer angefertigt. Manche der Tags sind mit Stiften ausgemalt, manche mit Notizen versehen. Das Buch war ganz offensichtlich wieder und wieder und wieder durchgearbeitet. Daneben waren eigene Skizzenseiten mit abgemalten Tags. Und er erzählt ihr, dass dieses Buch inzwischen Kultstatus hätte. Es stellt sich raus, das Buch Subway Art wurde zu einer Art inoffiziellen Style Bible und hatte inzwischen seinen Weg rund um den Globus gemacht. Graffiti-Künstler überall auf der Welt kopierten das Buch weiter und verteilten es. Sie lernten aus diesen fotografieren aus New York die verschiedenen Styles. Sie malten die Graffitis aus, wandeltes sie ab, erweiterten um eigene Stile. Kopierten das Ganze und reichten es weiter. Und ohne es zu merken hatte Martha etwas geschafft, was sie gar nicht angestrebt hatte. Sie hatte Kultstatus in der Szene erlangt. Künstler begannen sich, an sie zu wenden und nachzufragen, ob sie sie nicht auch mal fotografieren könnte. Streetart-Gruppen luden sie ein, mit ihr auf Tour zu gehen.

Waren diese Graffiti am Anfang überwiegend Schriftzeichen, kamen bald auch eine ausgefeilte Bildsprache dazu. Ganze Gemälde wurden auf Wände und Züge und Autos gesprayt. Und es gab neue Techniken. Von wiederauffüllbaren Spühflaschen bis hin zu besonders flüssigen Farben, die sich in eigens dafür umfunktionierten Feuerlöschern versprühen lassen, gab es die wildesten Konstruktionen. Und parallel wurden die ersten Street Art-Künstler entdeckt und konnten auf Kommission, also im Auftrag arbeiten. Wie es halt immer so ist. Kunstformen, die zuerst als Kritik am Kommerz anfangen, werden nach und nach ganz unweigerlich auch kommerzialisiert. Punk, Hip-Hop, Streetart. Mit den ersten, offiziell anerkannten Street Artists kamen dann auch die Messen und Ausstellungen. Und Martha Cooper konnte sich vor Einladungen nicht mehr retten. Und Martha ist ganz in ihrem Element. Ihr ganzes Leben lang beschäftigt sie sich mit Dokumentationsfotografie.

Sie fotografiert nach wie vor Kinder und Jugendliche am liebsten. Und immer wieder dazwischen die Subkulturen, die sie findet. Und ganz besonders gerne Künstler, die sich mit Streetart auseinandersetzen. Das Buch Subway Art ist inzwischen ganz offiziell eins der erfolgreichsten Fotobücher aller Zeiten. Über eine halbe Million Ausgaben sind davon inzwischen verkauft worden. Und es ist in der Szene immer noch die Bibel schlechthin. Und die Kunstform ist um die Welt gereist. Überall findet Graffiti. Und ich persönlich finde es auch schön, in einer Stadt zu wohnen, der es eine aktive Graffiti-Szene gibt. Wenn man sich hier in Frankfurt in der Stadt umsieht, erkennt man verschiedene Künstler, die im gesamten Stadtgebiet aktiv waren. Da gibt es die ganz offiziellen, großen Murals. Also die Wandgemälde, die zum Teil mehrgeschossige Häuserfassaden schmücken, die beauftragt und bezahlt wurden. Genauso wie Tags auf Zügen und Brückenpfeilern oder kleinen Aufkleberaktionen. Manchmal minikleine Tipp-Ex-Gemälde oder große, durchdachte Kunstaktionen. Wenn man durch seine Stadt läuft, stellt man auf jeden Fall irgendwann fest, dass es eine Art eigenen Fingerabdruck gibt. Die Mischung aus Künstlern, die man dort immer wieder antrifft. Dann gibt es die Ecken der Stadt, wo sich die Neulinge treffen und ihre Kunstfertigkeit dort lernen. Und es gibt die Brennpunkte, wo trotz allgegenwärtiger Kameraüberwachung immer wieder neue Kunstwerke auftauchen und man den Schaffern anscheinend nicht auf die Spur kommen kann. Dazwischen sind immer wieder die internationalen Größen, die sichtbar werden. Auch wir in Frankfurt haben unseren Banksy. Und auch wir in Frankfurt wurden schon mehr als nur einmal von One United Power, 1UP abgekürzt, besucht. 1UP ist dann auch eine Gruppe, die 2018 von Martha Cooper mit einem eigenen Bildband bedacht wird. Eine Woche durfte sie inkognito mit dieser Sprayergang unterwegs sein. Die Berliner nahmen sie mit, als wäre sie eine von ihnen. Und es gibt inzwischen sogar einen Dokumentarfilm dazu. Und der lohnt sich wirklich. Und wenn es nur zu dem Zweck ist, ein bisschen besser zu verstehen, warum Graffiti viel mehr als „nur“ Vandalismus ist.

2 Responses

  1. Steffen sagt:

    Wieder eine schöne Episode. Danke Dirk. Informativ, interessant, historisch und aktuell. Freue mich schon auf die 50.

  2. Frauke sagt:

    Seit der Folge sehe ich Frankfurt mit anderen Augen: ich bin permanent auf der Suche nach diesen Graffiti-Geistern, schaue mir jeden Stromkasten, jeden Laternenpfahl genauer an … In der Frankfurter Rundschau stand neulich übrigens ein Interview mit dem Künstler: https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-graffiti-city-ghosts-kuenstler-philipp-schaefer-kultur-kunst-street-art-geister-90905702.html

Schreibe einen Kommentar zu Frauke Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert