====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Ikonische Fotografien werden manchmal durch spontane Eingebung und einzigartige Persönlichkeiten geboren. Als am 30. Dezember 1941 der Kriegs-Premierminister Sir Winston Churchill auf den damals noch unbekannten jungen Fotografen Yousuf Karsh traf war genau so ein Moment. Für Churchill wurde diese Aufnahme zur definierenden Charakterstudie und für Karsh war sie der Beginn einer jahrzehntelangen Karriere.
- Yousuf Karsh Webseite
- Yousuf Karsh (Wikipedia)
- Who’s Who (Wikipedia)
- Winston Churchill (Wikipedia)
- Yousuf Karsh Portraits at the National Portrait Gallery
- Winston Churchill 70 years ago: ‘Some chicken! Some neck!’
- Winston Churchill Quotes
(Unter dieser Zeile müsste ein Video sein. Wenn nicht, dann auf nach https://fotomenschen.net)
Bild: Von digitalisiert von: BiblioArchives / LibraryArchives – Flickr: Sir Winston Churchill, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41991931
Transkript
Man nannte ihn den „Lion of the West“ oder den „Bulldog of the West“. Er war wahrscheinlich damals der Leader of the free World. Sir Winston Churchill, der britische Premierminister, der Großbritannien und in einem gewissem Sinne eigentlich die Alliierten durch den Zweiten Weltkrieg führte. Und dieses Image hat eine Menge mit einer ganz bestimmten berühmten Fotografie zu tun, dem Foto von Churchill nämlich, das ganz oben steht, wenn man bei der Google-Bildersuche nach Winston Churchill sucht.
Winston Churchill ist einer dieser gigantischen Persönlichkeiten, der ich unmöglich gerecht werden kann. Zu dem Zeitpunkt, zu dem unsere heutige Episode stattfinden wird, war Winston Churchill gerade ein Jahr Premierminister, und er hatte sich hervorgetan als unnachgiebig gegenüber dem Hitlerregime. Er hatte sich jeglichen Verhandlungen rundheraus verweigert und hatte stattdessen eine Anti-Deutschland-Allianz zwischen der Sowjetunion, den USA und Großbritannien geschmiedet.
Zu dem Zeitpunkt bereits 67 Jahre alt, hatte er eine politische Karriere mit allen Höhen und Tiefen, eine Offizierskarriere und eine Karriere als Autor verschiedener Werke hinter sich. Viel später, im Jahr 1953, würde Sir Winston Churchill übrigens den Nobelpreis für Literatur bekommen. Er war also wortgewaltig. Das zeichnet sich auch ab, wenn man sich mit ihm beschäftigt und diese unendliche Menge an Churchillzitaten durchblättert.
Im Dezember 1941 befindet Churchill sich auf Nordamerikareise. Kanada ist seit 1939 mit Deutschland im Krieg. Die USA waren erst kürzlich eingetreten und Churchill bespricht Pläne und trommelt die Unterstützer zusammen. Und am 30. Dezember macht er Halt im kanadischen Ottawa.
[Einspieler]
„Members of the Canadian Parliament! Hear Mr.Churchill’s Speech during which he pays Tribute to canadian soldiers on active service.“ „In two months, when the invasion season returns, the canadian army may be engaged in one of the most prideful battles the world has ever seen. We’ll not ask if the rules of the game should me modified, if any, we shall never descend to the german and japanese level. But if anybody likes to play rough we can play rough, too.“
Die Rede war ein voller Erfolg, immer wieder unterbrochen von tosendem Applaus und Gelächter. Winston Churchill wusste genau, wie man ein Publikum abholt. Er bereitete seine Reden ausführlich und detailliert vor. Und so hat er nicht nur eine oder zwei, sondern wahrscheinlich dutzende historischer Reden gehalten. Und immer wieder mal wird gesagt, dass Churchills Reden signifikant dazu beigetragen hatten, dass während den harten Kriegsjahren die Alliierten und natürlich ganz besonders die Briten immer wieder zu ihrem Durchhaltewillen zurückfanden.
Diese Rede in Ottawa jedenfalls, am 30. Dezember 1942, lief großartig. Churchill war mit sich zufrieden. Er trat von dem Rednerpult ab und entspannte sich mit einer Zigarre und einem Glas Johnnie Walker, beides Vorlieben, für die er bekannt und berühmt war. Es gibt kaum ein Foto von Churchill, wo er nicht eine Zigarre oder ein Whiskyglas oder beides in der Hand hält. Das wusste auch der junge kanadische Fotograf Yousuf Karsh, der beauftragt worden war, ein Foto von Churchill zu machen.
Yousuf Karsh hatte sich zu dem Zeitpunkt in Kanada bereits einen Namen als Porträtfotograf gemacht. Er war als Jugendlicher als Flüchtling aus Syrien nach Kanada ausgewandert und hatte dort dann das Fotografenhandwerk im Fotostudio seines Onkels gelernt.
[Einspieler]
„I came from Armenia after the massacre of the Armenians by the Turks. I came to Canada with the hope that an Uncle of mine, Nakash, would help to facilitate my being as a physician but I end up being a photographer and I’m very happy about it.“
Ja, eigentlich wollte er also Arzt werden, aber hat sich dann spontan in die Fotografie verliebt und blieb dabei. Karsh war besonders gut darin, Porträts von Menschen zu machen, die gleichzeitig kleine Geschichten erzählten. Man sah mehr als einfach nur ein Foto eines berühmten Menschen. Seine Porträts zeigten immer auch die Persönlichkeit, den Menschen, die Umstände, in denen das Bild entstand.
Zu dem Zeitpunkt dieser Churchillrede in Ottawa war Karsh eben schon bekannt für seine Porträts und hatte verschiedenste Celebrities vor der Kamera gehabt. Deswegen dauerte der technische Aufbau auch gar nicht lang. In einem Nebenraum hatte er Belichtung und Kamera bereits stehen und wartete darauf, dass jemand Churchill vorbeibringen würde. Der wusste nichts von dem Ganzen. Er war zwar gut gelaunt, aber im Grunde ließe sich auch ungern fotografieren. Und deswegen war das auch keine willkommene Überraschung, als man ihm im Nebenraum mitteilte, dass er noch für ein Porträt posieren sollte.
„Meinetwegen, wenn’s sein muss. Der Fotograf hat fünf Minuten.“, soll er gesagt haben. Er kommt also in den Raum, mit seiner Zigarre in der Hand, stellt sich vor die Kamera und schaut den Fotografen an. Der versucht es erst höflich, sagt „Sir, we prepared an ash tray for you.“, denn er wusste, dass er nicht schon wieder ein Foto mit Winston Churchill mit Zigarre in der Hand machen wollte. Winston Churchill ignoriert das, und es ist der Moment, für den Yousuf K. später berühmt wird.
Er nimmt nämlich sein Belichtungsmesser und geht vor zu Winston Churchill, misst kurz nochmal das Licht nach, nimmt ihm dann die Zigarre aus dem Mund, geht zurück zur Kamera und drückt ab. Und der Blick, den Churchill in diesem Bild hat, ist unbezahlbar. Und Yousuf Karsh hatte bekommen, was er fotografieren wollte. Ein Porträt von Churchill, wo Churchill unnachgiebig, grimmig, willens, das Notwendige zu tun aussieht und eben nicht das typische Churchillporträt, wo er mittelmäßig gut gelaunt mit Zigarre in der Hand in die Kamera schaut. Er ging dann nicht auf den Fotografen los, übrigens, sondern verstand durchaus, was der Sinn der Aktion gewesen war. Er wollte das aber auch nicht so stehen lassen.
[Einspieler]
„And after this defined image he gave me he straightened up, he said: „You can take another one.“
Es gibt also noch ein zweites, deutlich freundlicheres Porträt aus demselben Fotoshooting. Berühmt wurde Yousuf allerdings für das erste.
[Einspieler]
„What is extraordinary about this photograph, it was a symbol of the determination and the British Bulldog. And one of your former commentator colleges, when he saw the saw this portrait of Churchill, he said: „Ah. He is the man who marshalled the english language and sent it into battle when we had little else.““
Es gibt eine Art Standardwerk, das berühmte Persönlichkeiten listet, das „Who is Who“. Und das „Who is Who“ des 20.Jahrhunderts listet 100 berühmte Persönlichkeiten. Als Yousuf Karsh 2002 stirbt, hat er mehr als die Hälfte dieser Persönlichkeiten porträtiert und ist selbst der einzige Fotograf, der auf dieser Liste geführt wird. Hemingway, der Papst, die britische Königsfamilie oder eben Winston Churchill. Seine Portraits zeigen nicht nur Berühmtheiten, sondern geben uns das Gefühl, den wahren Menschen in der Aufnahme erkennen zu können. Und selbst wenn das natürlich manchmal nur eine Illusion ist, gibt es doch nur sehr wenige, die diese Kunst bei Porträts so virtuos beherrschten wie Yousuf Karsh. So gesehen schon ganz gut, dass in der British Bulldog nicht gleich an Ort und Stelle verschlungen hat.
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