7. August 2021

Blind fotografieren

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Fotografie heißt übersetzt „Mit Licht zeichnen“. Aber heißt das man muss dafür auch sehen können?

„The mind is the essence of your sight. It’s really the mind that sees.“ (John Dugdale)

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FotografInnen:


Transkript

I: Es ist eine (?Binse), dass Menschen, die einen Sinn verlieren, diese Fähigkeit über die anderen Sinne ausgleichen. Wenn wir also unser Augenlicht verlieren, dann hören wir wahrscheinlich besser und tasten mehr. Und darum überrascht es uns auch überhaupt gar nicht, dass es blinde Musiker gibt, oder taube Maler. Aber blinde Fotografinnen? (Musik wird abgespielt) Fotomenschen. Vielleicht mal gleich vorneweg: Der Begriff blind ist schwierig. Denn wir meinen damit ja meistens Menschen, die nicht richtig sehen können, und da gibt es ein Spektrum. Ich selbst weiß jetzt nicht genau, was die richtige Terminologie ist. Ich werde also öfters mal blind sagen. Unteranderem auch deswegen, weil in praktisch allen Artikeln und Büchern, die ich gefunden habe, für die heutige Folge, der Begriff blind, ganz selbstverständlich benutzt wurde.

Und um das gleich vorwegzunehmen, jawohl, es gibt wahrscheinlich tausende von blinden Fotografinnen und Fotografen da draußen. Es gibt sogar Vereine, die Menschen beibringen, mit der Kamera umzugehen und zu fotografieren. Die erste Geschichte, die mir begegnet ist, ist von dem Inder, Pranav Lal. Er konnte noch nie sehen. Er wurde blind geboren. Und trotzdem wurde er bekannt als Indiens blinder Fotograf. Denn seine Bilder gingen durch die Presse und die Medien. Fast alle seine Aufnahmen entstehen im Freien. Die Natur ist sein Motiv. Und Pranav fotografiert mit Hilfe von Technologie. Zunächst einmal fotografiert er mit modernen, digitalen Kameras. Wichtig ist, sagt er, dass die Kamera einen ordentliche Auto-Fokus hat. Aber wie weiß Pranav, was er denn fotografiert? Dafür hat er ein zweites System für sich entdeckt. 2001 entdeckte er eine Software namens Voice. Die setzt etwas um, das nennt sich (?Soundification). Soundification ist das Darstellen beliebiger Daten durch Töne.

Wenn wir uns Daten anschauen, schauen wir uns diese wahnsinnig gerne als visuelle Graphen an. Und diese Graphen sind aber nichts anderes als eine Krücke. Sie helfen uns, einen Zusammenhang zu erfassen. Je nachdem, welchen Diagrammtyp wir verwenden, mag dieser Zusammenhang dann offensichtlicher und weniger offensichtlich sein. Allerdings sagt ja niemand, dass Daten visuell aufbereitet werden müssen. Daten können auch als Töne aufbereitet werden. So klingt zum Beispiel die menschliche DNA: (Töne werden abgespielt) Und inzwischen gibt es so einiges an Software, die auf die verschiedensten Arten auch Bilder in Töne umwandeln kann. Das kann für ungeübte Ohren auch erstmal recht anstrengend wirken. Aber hier zum Beispiel die Sonifizierung meines Podcast-Logos, mit einer Software namens Photosounder: (Töne werden abgespielt)

Spannend ist dabei insbesondere, dass mit etwas Übung, Menschen, die diese Software verwenden, durchaus unterscheiden können, ob sie eine dunkle, eine helle, eine Szene mit vielen Objekten, eine Szene mit wenigen Objekten sehen. Und genau so ein System macht sich Pranav zu eigen. Er hat sich ein System gebaut, bestehend aus einer Action-Cam, die er mit einem Stirnband am Kopf trägt. Einer Verbindung zu einer Software, die die Bilder, die die Action-Cam aufnimmt, direkt sonifiziert. Und sogenannten Bone-Conducting-Headphones. Also Kopfhörer, die über Knochenschall funktionieren, um diese Töne dann hören zu können. Und so läuft er durch die Gegend und hört seine Umgebung. Klingt die Umgebung nun interessant, dann nimmt er die Kamera, die er dabeihat, und hält sie grob in dieselbe Richtung. Also buchstäblich vor seine Stirnkamera, und drückt ab.

Moderne Kameratechnik sorgt jetzt dafür, dass scharfgeschaltet ist und die Belichtung stimmt. Pranav sorgt dafür, dass eine Szene fotografiert wurde, die ihn angesprochen hat. Und seine Mitmenschen sind davon fasziniert, wie oft dort wirklich ansprechende Kompositionen und interessante Bilder rauskommen. Sicherlich sind die Bilder nicht immer gelungen, aber bei wem sind sie das schon. Und Pranav kann mit dieser Kamera jetzt alles erleben und tun, was wir sehende Fotografinnen und Fotografen auch können. Er kann Szenen festhalten. Er kann sie sich wieder und wieder anschauen, oder anhören. Er kann mit anderen über die Aufnahmen sprechen. Er kann Bilder identifizieren, die bestimmte Stimmungen bei ihm auslösen, oder die bestimmte Stimmungen bei den Betrachterinnen und Betrachtern auslösen. Moderne, blinde Fotografinnen und Fotografen sind dabei auch nicht auf Soudification angewiesen. Es gibt auch andere Systeme, die im Endeffekt den einen Sinneseindruck in einen anderen umwandeln. So habe ich zum Beispiel mal ein Gerät gesehen, das aus einer kleinen Action-Kamera und einer Platte bestand, die die Bilder in kleine Druckpunkte umgewandelt hat.

Man brachte diese Platte einfach immer an derselben Stelle am Körper an, und sie modellierte sozusagen die Umrisse, die die Kamera sieht, auf die Haut. Also drückte sie mit kleinen, beweglichen Stiften auf die Haut. Unser Gehirn ist faszinierend und wahnsinnig leistungsfähig. Und Menschen, die mit solchen Gerätschaften unterwegs sind, können nach einer Weile auf die Art und Weise, Gegenständen ausweichen, ohne sie sehen zu müssen. Sie können Türen identifizieren und öffnen, Hindernissen ausweichen, und dergleichen mehr. Und natürlich wird so etwas unter Umständen auch von Fotografinnen und Fotografen benutzbar. Okay, mag einem da in den Sinn kommen, das ist nett. Aber für kommerzielle Fotografie ist so etwas wahrscheinlich nicht wirklich verwendbar, oder?

Und bei Pranav stimmt das. Der betreibt das Ganze in erster Linie als ein Hobby. Aber ich habe eine ganze Reihe von professionellen Fotografinnen und Fotografen entdeckt, die Portrait-Arbeiten abliefern, die in der Werbeindustrie fotografieren, und dabei wenig oder gar kein Augenlicht besitzen. Ein Beispiel ist der britische Fotograf Ian …#00:05:40#. Er leidet an einer Augenkrankheit namens Retinopathia pigmentosa. Menschen, die an dieser Krankheit leiden, verlieren über die Zeit ihre Fotorezeptoren. Betroffene sehen also zunächst ganz normal, verlieren diese Fähigkeit aber dann über die Jahre. Wie der Verlauf genau aussieht, ist unterschiedlich. Den meisten fällt im Teenageralter irgendwann auf, dass sie irgendwas nicht mehr wirklich wahrnehmen können. Also zum Beispiel stark nachtblind sind, oder einen ausgeprägten Tunnelblick haben, oder Kontraste nicht richtig wahrnehmen können. Und mit den Jahren wird es immer schlechter, bis sie schließlich gar nichts mehr sehen. Ian trifft es besonders hart, denn er wird tatsächlich mit einer ausgeprägten Hörschwäche geboren.

Er kann hohe Frequenzen nicht wahrnehmen, deswegen hatte er schon als Kind regelmäßig Hörhilfen getragen. Trotzdem bemerkt seine Familie nicht, wie Ian nach und nach immer weniger sieht. Er selbst ist es, dem als Vierzehnjähriger auffällt, dass er beim Spielen mit seinen Freunden im Wald eigentlich gar nicht weiß, wo er hinläuft, und seine Familie dann überzeugt, mit ihm zum Augenarzt zu gehen. Die diagnostizieren seine Krankheit, und ab jetzt weiß er, dass er wahrscheinlich mit 40 nichts mehr sehen wird. Im Augenblick hat er noch ungefähr fünf Prozent seines Augenlichts. Bei Ian ist es so, dass er einen Tunnelblick entwickelt. Das heißt, es gibt in der Mitte seines Seefeldes einen kleinen Streifen, in dem er immer noch alles sehen kann. Ian sieht es also auf sich zukommen. Und als Teenager weiß er natürlich noch nicht wirklich, wie er damit umgehen wird.

Aber wie er älter wird, und diese Krankheit sich immer weiter ausdehnt, stellt er fest, dass er sein Leben nicht davon definieren lassen möchte. Wie viele seiner Altersgenossen, ist Ian zu dieser Zeit begeistert vom Kino. Aber seine Begeisterung geht weit über das hinaus, was seine Altersgenossen teilen. Er interessiert sich für die Kinematographie, für die Kameraführung, für die Einstellungen, für die Farben, die er sieht, für die Kontraste. Und darüber kommt er dann irgendwann auch zur Fotografie. Er möchte festhalten, was er sieht. Er möchte festhalten, wie es sich verändert, was er sieht. Und er möchte ein Werk schaffen, das beeindruckend ist. Und so beschließt er, Fotograf zu werden. Sein Genre? Portrait. Sein Arbeitsumfeld variiert. Aber hauptsächlich arbeitet er in seinem eigenen Studio, wo er die Lichtbedingungen und die Posen seiner Models, detailliert kontrollieren kann. Ian lässt sich Zeit. Ian muss sich Zeit lassen. Er arbeitet intensiv mit seinen Models.

Unterhält sich lange mit ihnen. Spürt in sich hinein. Sieht sehr genau hin. Denn es ist ja nicht viel, was er wahrnehmen kann. Und auch das ist eine Binse. Je mehr Zeit wir uns mit unseren Fotografien lassen, je mehr wir darüber nachdenken, was wir tun und warum wir es tun, desto besser werden sie in aller Regel. Und bei Ian ist es nicht anders. Er fotografiert viel schwarz-weiß. Er spielt mit Dunkelheit in seinen Aufnahmen. An den Bildern sieht man den Könner. Und die Fotografie ist nicht fertig, nachdem er sie aufgenommen und am Rechner bearbeitet hat, sondern erst, wenn sie gedruckt ist und in einem handgefertigten Rahmen, gerahmt.

Bei Ian kommt das physikalische Objektbild und das, was er sieht und empfindet, zusammen. Und er sieht seine Zeit jetzt, als Fotograf, er noch fünf Prozent sihet, als Vorbereitung für die Zeit, wenn er gar nichts mehr sieht. Und er hat zumindest bisher nicht vor, dann mit dem Fotografieren aufzuhören. Denn während er eigentlich angefangen hatte, weil er das Gefühl hatte, es tickt eine Uhr und es muss in der Zeit, in der er noch sehen kann, möglichst viel passieren, hat er inzwischen für sich entdeckt, dass die Fotografie viel mehr für ihn eröffnet. Er sagt, Fotografie erlaubt ihm, an der Welt teilzuhaben, unabhängig davon, ob er sie sehen kann, oder nicht. Hier in seinen eigenen Worten.

B1: Well, I think without the Camera, I think, yeah, I will be quiet cutoff. I think, having the Camera is the sort of Thing, that allows me to sort of, you know, be involved in other Peoples Worlds.

I: Er sagt, ohne Kamera wäre er irgendwann von der Welt abgeschnitten. Aber mit der Kamera darf er sozusagen an anderer Leute Welten teilhaben. Wir haben also verschiedene Aspekte inzwischen schon beisammen, die wir als Sehende natürlich auch mit der Fotografie verbinden. Nämlich die Möglichkeit, uns auszudrücken und über das Bild mit anderen in Kontakt treten zu können. Die Möglichkeit, die Kamera dafür zu benutzen, in andere Lebenswelten einzutauchen, die Welt erfahren zu können. Trotzdem ist es oft so, dass Menschen, wenn sie ihre Sehkraft verlieren, zunächst denken, alles Visuelle ist außer Reichweite. Waren sie vorher Fotografinnen und Fotografen, hören sie damit auf. Waren sie vorher begeisterte Kinogänger oder in Gallieren zu Besuch, ist das zunächst einmal außer Reichweite. Weil das aber nicht immer so sein muss, und weil es, besonders auch in unserer digitalen Welt, Möglichkeiten gibt, kamen mit den 2000er Jahren, weltweit an verschiedensten Stellen, Initiativen und Vereine auf. Und es tauchen Bildbände und Ausstellungen auf. So konnte man letztes Jahr, im Rahmen des europäischen Monats der Fotografie, im F3 in Berlin, eine Ausstellung von Fotografinnen und Fotografen besuchen, und sah dort sogenannte Lichtmalereien.

B2: Mein Name ist Susanne Emmermann und ich fotografiere eigentlich schon immer. Aber nachdem ich anfing zu erblinden, 92, dachte ich, das ist verloren. Und habe mich dann langsam wieder herangetastet. Und ja, bis hin zum Workshop 2017, indem wir dann mit dem (?Light-Painting), was wir jetzt praktizieren, angefangen haben.

B3: Ja, mein Name ist Gerald (?Pirner). Ich war zunächst begeisterter Bildseher. Habe mich mit Malerei beschäftigt. War sehr intensiver Kinogänger. Dann kam meine Erblindung. Und dann war erstmal vollkommen Schluss mit allen möglichen Bildern. Und ich habe mich dann erst langsam wieder, über mein Schreiben, an die Bilder herangetastet. Habe dann, vor einigen Jahren, angefangen zu fotografieren. Jetzt irgendwie auch tatsächlich ohne Light-Painting zunächst. Bin vom Spüren ausgegangen. Kam dann, über den Film von Frank (?Amann), an das Light-Painting heran. Und fotografiere im Light-Painting Stil jetzt seit drei, vier Jahren, oder sowas.

B4: Mein Name ist (?Silvia Korn) und ich habe vor meiner Erblindung auch schon fotografiert. Mein Vater hat uns Kinder dort herangeführt. Er hat uns gefilmt und fotografiert. Und dann bin ich mit zwölf blind geworden und habe auch geglaubt, dass ich das nicht mehr machen könnte. Und 2004 habe ich das dann wieder aufleben können, durch eine Fotografin, die blinde Menschen gesucht hat und mit ihnen fotografieren wollte. Und da hat sie mir gezeigt, wie man auch blind fotografieren kann. Und seit dem Tag an, habe ich erstmal fotografiert. Und dann habe ich auch mit Light-Painting, 2017, 2016 oder 2017 angefangen zu fotografieren. Und bin auch sehr begeistert, dass wir diese Möglichkeit jetzt haben.

I: Light-Painting, das ist eine Technik, die von blinden Fotografinnen und Fotografen öfter angewandt wird. Die Idee ist simpel. Es ist eine Langzeitaufnahme. Das heißt, die Kamera wird in einem dunklen Raum auf ein Motiv gerichtet und belichtet ab jetzt. Und man geht mit verschiedenen Lichtquellen, zum Beispiel Taschenlampen, oder auch farbigen Reflektoren, und ähnlichem. Die Kamera zeichnet all diese Lichtbewegungen auf. Weil es aber eine Langzeitbelichtung ist, wird der Fotograf oder die Fotografin im Bild nicht sichtbar, das Motiv aber sehr wohl. Und dabei entstehen wirkmächtige Aufnahmen, die fast schon an Gemälde erinnern. Menschen, die nicht richtig oder gar nicht mehr sehen können, machen viele Dinge langsamer als wir Sehenden.

Sie müssen genauer hin spüren, sie müssen ihre Umgebung erfassen, sie müssen Dinge ertasten. Und Lichtmalerei gibt ihnen die Möglichkeit dazu. Es ist fast schon als würde man eine Skulptur abgehen. Und so können die Künstlerinnen und Künstler übersetzen, was sie spüren und ein Abbild ihres Erlebnisses schaffen. Und die Werke sehen großartig aus. Die sehen so toll und einzigartig aus, dass VW, im Jahr 2018, den blinden Fotografen Pete Eckert, vielleicht inzwischen der berühmteste Fotograf dieses Genres, damit beauftragte, eine Werbekampagne für den Volkswagen Arteon zu produzieren. Auch Pete leidet an Retinopathia pigmentosa. Er war ausgebildeter Bildhauer als ihn die Diagnose ereilte. Und, wie so viele andere, dachte auch er, alles, was ihn an den visuellen Künsten bis hierhin fasziniert hatte, wäre jetzt vorbei. Aber er konnte irgendwie nicht davonlassen, Kunst schaffen zu wollen.

Und deswegen brachte er sich bei, wie er blind eine Drehbank bedienen kann, und fing an, Holzuhrwerke zu schaffen, oder kleine Skulpturen. Es dauerte nicht lange, und das war irgendwie nicht mehr genug. Es dauerte einfach auch zu lange, bis auf diese Art, Kunst geschaffen wurde. Und es gab keine Chance, dass er jemals seinen Lebensunterhalt damit verdienen würde. Und das war sein erklärtes Ziel; Er wollte mit seinen Leidenschaften, Geld verdienen. Irgendwann passiert dann, was passieren musste: Ihm fiel eine alte Kamera in die Hand. Alte Kamera, in dem Fall eine Kodak aus den 50er Jahren, haben die angenehme Eigenschaft, dass sie sehr haptisch sind. Dort sind verhältnismäßig große und wenige Bedienelemente dran.

Und die kann man bedienen lernen, ohne sie sehen zu müssen. Seine Frau hilft ihm dabei, die grundsätzliche Funktionalität zu verstehen. Aber er stößt trotzdem schnell an Grenzen, und wendet sich an einen lokalen Foto-Fachbetrieb. Und die bringen ihm, in schier endloser Geduld, verschiedenste Techniken bei, die er auch als Blinder beherrschen kann. Beziehungsweise entwickeln diese Techniken zusammen mit ihm. Auch hier mündet das Ganze in Ausstellungen, in Fotobücher und eben in eine Kampagne für Volkswagen, in dem er, mit Hilfe von Lichtmalerei, wirklich eindrückliche Bilder und Videos schafft. Und auch bei Pete ist der Antrieb ein sehr ähnlicher, wie bei sehenden Zeitgenossen mit Kamera. Er braucht die Bilder selbst nicht sehen können, um zu wissen, wie sie auf andere in seiner Umgebung wirken, wenn diese sie sich anschauen.

Wie andere professionelle Fotografinnen und Fotografen auch, hat er Assistenten, die ihm dabei helfen, die Belichtungstechnik und die Kamera selbst auszurichten. Aber das Bild schafft er, in dem er sich um sein Motiv herumtastet und mit verschiedenen Lichtquellen malt. Oft schafft er das Bild schon fertig im Kopf, noch bevor er überhaupt zur Tat schreitet. Die Tatsache, dass er früher mal sehen konnte, hilft ihm dabei natürlich ungemein. Ein stückweit, so sagt er, macht er eigentlich mit der Kamera dasselbe, was er als Bildhauer auch mit der Drehbank machen würde, nur in viel kürzerer Zeit. Und was ich ganz allgemein sehr beeindruckend finde, wenn ich mir die Bilder von ihm oder anderen blinden Fotografinnen und Fotografen anschaue, ist die Kreativität, die dort durchsticht. So mancher von uns fotografiert ja eigentlich nur, was uns sowieso im Alltag begegnet und hält dann vielleicht sogar einfach mit der Vollautomatik drauf. Daran ist auch überhaupt gar nichts auszusetzen.

Aber diese Fotografinnen und Fotografen, die sich herantasten, daran, was eine Fotografie für sie bedeutet, schaffen dort zum Teil Bilder, die anders sind als alles, was ich sonst so zu sehen bekomme. Sie drücken sich aus. Sie zeigen ihrer Umgebung ihre Welt. Und das, glaube ich, ist im Kern alles, worum es bei Fotografie überhaupt gehen kann. (Musik wird abgespielt) Fotomenschen. Zur heutigen Folge gibt es wirklich viel Material, was man sich anschauen kann. Ich habe so einiges an Videos und weiterführenden Links aufgeführt. Ich habe eine größere Auswahl von Fotografinnen und Fotografen in den Notizen zur Sendung hinterlegt und möchte damit möglichst viel Anlass und Gelegenheit schaffen, um in diese faszinierende Welt einzutauchen.

Als mir dieser erste Fall eines sehbehinderten Fotografen begegnet ist, dachte ich noch, das ist eine Kuriosität. Und je mehr ich mich dann damit beschäftigt habe, desto mehr wurde mir klar, dass so mancher von diesen Menschen näher an der Essenz des Fotografierens ist als viele Sehende, die mit Kameras durch die Gegend laufen. Wenn die Fotografie ein Weg ist, sich auszudrücken, wenn die Fotografie ein Weg ist, die Welt zu erfahren und ihr näher zu kommen, wenn sie eine Möglichkeit ist, über sich selbst und die Umgebung nachzudenken, ja, dann ist die Fotografie praktisch das perfekte Werkzeug. Und wir alle tun es. Es ist auch das ein Klischee, das Zitat, dass wir als Fotografinnen und Fotografen zuerst einmal uns selbst fotografieren.

2 Responses

  1. Silke Wonneberg sagt:

    Wow wie cool. Eine wunderbare Folge. Als Optikerin bin ich immer wieder fasziniert was sehbehinderte Menschen immer leisten können, aber das war jetzt auch für mich neu. Vielen lieben Dank… ich werde dann noch in Ruhe allen Links von dir folgen…

    Viele Grüße aus dem Süden und momentan aus dem Harz

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