9. Mai 2021

Pflaumen, Käse, Papageienpopel

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Früher forderten Fotograf:innen ihre Kundschaft auf „Prunes!“ (Pflaume) zu sagen damit die für die Aufnahme den Mund schlossen. Wann und warum tauchte dann die Erwartung auf in die Kamera zu lächeln und „Cheese!“ zu sagen?


Transkript

Schaut man sich Fotos des 19. Jahrhunderts an, wird schnell auffällig, dass es offensichtlich damals nichts zu lachen gab, denn die Leute schauen immer bierernst in die Kamera. Oder hat das vielleicht andere Gründe?

Um gleich mal eins aus der Welt zu räumen: Auch im 19. Jahrhundert hatten die Menschen Spaß und wussten, wie man lacht. Betrachtet man hingegen Fotos aus der Zeit, fällt auf, wie selten das vorzukommen scheint.

Das älteste Bild eines lächelnden jungen Mannes, das wir kennen, ist von 1853. Es zeigt den zum Zeitpunkt der Aufnahme 18-jährigen Willy Dillwyn. Die Dillwyns waren Fotopioniere aus Wales. Sie waren durch Heirat mit Henry Fox Talbot verwandt, dem britischen Vater der Fotografie und Willys Vater John Dillwyn Llewelyn war ein Botaniker und hat sehr früh angefangen, seine Arbeit mit fotografischen Verfahren zu dokumentieren. Fotografiert hatte allerdings Willy nicht sein Vater John, sondern seine Tante Mary.

Und auf Marys Konto gehen so einige erste Aufnahmen. Sie ist zum Beispiel diejenige, die den ersten Schneemann überhaupt fotografiert. Und die erste Fotobombe. Ein Gruppenfoto, wo im Hintergrund ein Mädchen neugierig um die Ecke lugt.

1853, als Willy eben vor der Kamera lächelte, war die Fotografie bereits seit 14 Jahren in der Welt. Waren die allerersten Aufnahmen noch Aufnahmen, die manchmal Stunden Belichtungszeit brauchten, konnte man inzwischen in Sekunden belichten. Zumindest, wenn man draußen bei Tageslicht fotografierte. Im Studio sah das noch ein bisschen anders aus. Da musste man sich doch noch einigermaßen ruhig halten, um eine ordentliche Aufnahme zu machen.

Und das ist auch gleich die erste Erklärung dafür, warum gerade auf alten Aufnahmen die Menschen so ernsthaft zu schauen scheinen: Ein natürliches, natürliches Lächeln wird halt schnell zur seltsamen Grimasse, wenn man es 30 Sekunden lang halten soll. Im Internet findet man dann zusätzlich noch Skizzen von Halteapparaten, die Kopfpositionen für den Fotografen fixierten und wenn man in so einen Schraubstock eingespannt ist, fällt das Lächeln vielleicht nochmal extra schwer. Ist eine naheliegende Begründung.

Allerdings reicht die nicht, denn ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts war eben Technik verfügbar, mit der man viel, viel schneller belichten konnte und trotzdem schauen die meisten Menschen ziemlich ernst in die Linse.

Der Grund ist also ein anderer. Und den finden wir, wenn wir uns die Umstände, unter denen die meisten Aufnahmen damals entstehen, genauer anschauen. Vor der Entwicklung der Fotografie war ja die Portraitmalerei das Mittel der Wahl, um Menschen für die Ewigkeit zu dokumentieren. Und auf diesen Bildern wollte man eben nicht dümmlich lächelnd dargestellt werden, sondern gebildet, ernsthaft, machtvoll wirken. Die Fotografie nun orientierte sich an diesen Sehgewohnheiten.

Und Fotografie passierte ja auch nicht zwischendurch, sondern war geplant. Es war ein Ereignis, zum Portraitfotografen zu gehen. Das kostete viel Geld und man machte es zu besonderen Anlässen. Und dann grinste man eben auch nicht in die Kamera, sondern versuchte, dabei ernsthaft und dem Anlass angemessen feierlich zu schauen. Hätte man in die Kamera gegrinst, wäre der Verdacht nahegelegen, dass man entweder dement oder besoffen oder sonst irgendwie seltsam wäre.

Damals wie heute verstehen professionelle Fotografinnen und Fotografen ihre Aufgabe darin, dem Model den richtigen Weg zu weisen, sie also in eine Pose und zu einem Gesichtsausdruck zu leiten, der ihnen dann später gefallen wird. Und so, wie man heute die Leute auffordert, „cheese“ zu sagen, hat man damals „prunes“ gesagt, damit die Leute ihren Mund eben schließen.

Ja, und wo wir schon bei geschlossenen Mündern sind: Das ist dann auch noch die nächste Begründung, warum Menschen ganz allgemein kein Interesse daran hatten, auf Bildern für die Ewigkeit ihr Speisezimmer zur Schau zu stellen. Denn schief gewachsene, faulige oder ausgefallene Zähne waren auch beim Adel gar nicht selten. Ein breites Karieslächeln war damals also unter Umständen auch aus ästhetischen Gründen gar nicht erstrebenswert.

Wir haben also eine Mischung aus Sehgewohnheiten, kulturellen Befindlichkeiten und technischen Möglichkeiten, die dafür sorgen, dass zumindest mal im 19. Jahrhundert das Lächeln auf Fotos sehr selten ist. Menschen, die fotografiert werden, kommt einfach nicht in den Sinn, zu lächeln und Fotografinnen und Fotografen, die Portraits aufnehmen, kommt nicht in den Sinn, die Leute dazu aufzufordern, zu lächeln. Und bis heute gibt es messbare Unterschiede darin, wie unterschiedliche Kulturen auf die Fotosituation reagieren. Nicht jede Nationalität neigt dazu, gleich mal loszugrinsen.

Um das Aufkommen des Fotolächelns zu studieren, bietet es sich an, einige der üblichen Standardfotosituationen genauer unter die Lupe zu nehmen. Zum Beispiel existiert in den meisten westlichen Ländern die Tradition des Schuljahrbuchs. Und dann gibt es natürlich auch noch Hochzeitsfotos, Portraits zum 18. Geburtstag und dergleichen mehr. Speziell Jahrbuchtraditon kommt in angloamerikanischen Ländern um das Jahr 1900 auf.

Ein Team der University of Berkley nahm sich 38000 dieser Fotos vor und stellte fest, dass erst so ungefähr 1920 die ersten zaghaften Lächelaufnahmen auftauchen. Das Grinsen wird Jahr für Jahr breiter, wobei die Frauen einen leichten Lächelvorsprung haben, bis wir dann irgendwann anfangen, Zähne zu sehen. Und heute grinsen Studierende breiter als jemals zuvor.

Warum ist das so? Wer hat diese Gewohnheit geprägt? Wie kommt es, dass wir als Gesellschaft genau wissen, dass in bestimmten Situationen eine auf uns gerichtete Kamera mit der Erwartungshaltung verbunden ist, dass wir versuchen, freundlich und lächelnd zu schauen?

Verschiedene Studien zeigen, dass diese Erwartung zuerst in den USA aufkommt und Hand in Hand geht mit der Entwicklung der Werbung im öffentlichen Raum. Eine Firma ist da ganz besonders prägend. Eine Firma, über die wir hier auch schon mehrmals gesprochen haben. Nämlich die Firma Kodak.

Kodak sah es als seine Aufgabe an, die Fotografie für die Massen verfügbar zu machen. Von Anfang an wurden Kameras für Kinder und Familien vermarktet. „You press the button, we do the rest“ ist der berühmte Slogan der Firma Kodak. Die Idee ist, dass die Technik so einfach geworden ist, dass sogar Kinder damit spielen können. Und so günstig, dass man das jederzeit tun kann. Es kommt die Privatfotografie auf und die Familie ist der Ort, an dem auch mal herumgealbert wird. An dem es Gelegenheiten gibt, zu denen die Menschen Freude zeigen. Und die Fotos sind ja privat, das heißt, sie bleiben in der Familie und zeigen deswegen bereitwillig das Lächeln der glücklichen Familienmitglieder. Eastman Kodak befeuert das noch weiter.

Es ist nicht nur Kodak, sondern die gesamte Werbewelt befindet sich gerade im Umbruch. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat Werbung in erster Linie den Kunden Angst gemacht. Ihnen wurde gesagt, was ihnen droht, wenn sie ein Produkt nicht kaufen. Beispielsweise ein Mundwasser ist die dringend notwendige Gegenmaßnahme gegen drohende soziale Verelendung.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts aber dreht sich diese Perspektive. Nicht mehr Angst wird verkaufsfördernd eingesetzt, sondern es geht um die Aussicht auf Vergnügen, auf Freude. Das schlägt sich ganz besonders auch in den Werbekampagnen von Kodak nieder. Deren Kampagnen zeigen oft die sogenannten „Kodakgirls“ und Situationen im Familienkreis und relativ schnell ist da auch viel Lächeln zu sehen.

Kodak veröffentlicht vor allen Dingen eine ganze Reihe von Büchern und regelmäßig erscheinenden Magazinen, in denen sie den Amateurfotografen wie dem Profi Tipps für Posing, gute Situationen und dergleichen gibt. „Kodakery“ ist eines dieser Magazine und recht schnell wird da drin eben auch deutlich gemacht, dass glückliche Situationen, freudige Situationen, gerne auch mal Schnappschüsse im Urlaub oder zu irgendwelchen Familienfesten der ideale Platz für die Kodak sind.

Außerdem veranstaltet Kodak Wettbewerbe. Kodakfotografinnen und Fotografen können ihre Bilder einschicken und die Gewinner werden wiederum als Werbekampagnenmotive weiterverbreitet. Millionen sehen die Aufnahmen glücklicher Kodakmomente. Und je mehr die im öffentlichen Raum auftauchen, desto mehr Menschen gewöhnen sich an diesen Anblick und erfüllen auch diese Erwartungshaltung. Wird eine Kamera auf uns gerichtet, versuchen wir eben, glücklich auszusehen. Und schon ist es da, das Lächeln.

Es ist also Werbung und Marketing, das unsere Foto- und Sehgewohnheiten prägt. Und die entwickeln sich in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich schnell. Im Deutschland der 20er Jahre ist Leica das große fotografische Unternehmen. Und Leica revolutioniert die Welt der Fotografie der damaligen Zeit.

Die Kampagnen von Leica allerdings, die bleiben ernsthaft. Von den ersten 150 Werbekampagnen, mit denen Leica ihre Fotosparte bewirbt, zeigen nur 14 ein Lächeln. Die Deutschen sind also verhältnismäßig ernsthaft in ihren Aufnahmen. Und das sieht man auch bei Familienbildern aus der damaligen Zeit. Während in den USA schon breit gegrinst wird, schaut man bei uns noch einigermaßen seriös in die Kamera. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bricht aber auch hierzulande endgültig der Damm und auch hier wird breit gegrinst.

Spannend auch, dass wir kein deutsches Äquivalent für „cheese“ haben, sondern das einfach auch sagen. Oder diverse lustige Alternativen finden. Wir haben zum Beispiel unsere Kids immer dazu aufgefordert, „Papageienpopel“ zu sagen. Bis zum „l“ sind die meistens gar nicht gekommen.

Spannend ist auch, dass diese Entwicklung, also, was man so macht, wenn man fotografiert oder fotografiert wird, noch nicht abgeschlossen ist. Mit dem Aufkommen der Selfiekultur sind auch neue Grimassen und neue Rituale aufgekommen. Da wird dann plötzlich statt einem Lächeln ein Duckface in die Kamera gemacht, also eine Schnute gezogen, die wohl am Anfang so ein bisschen wie ein sexy Kussmund aussehen sollte, aber zum Teil wirklich, wirklich seltsame Ausmaße annimmt. Und die Menge an Bildern, bei denen Frauen von unten nach oben schauen, nimmt zu. Auch hier wahrscheinlich das Bedürfnis, irgendwie sexy zu wirken, aber ganz eindeutig ein Trend in der Fotografie, den es vor 20 Jahren so nur in ganz bestimmten Genres gegeben hatte.

Interessant auch, sich die eigene Erwartungshaltung bewusst zu machen. Wir erwarten, auf alten Aufnahmen ein ernstes Gesicht zu sehen und sind dann immer so ein bisschen in unseren Sehgewohnheiten irritiert, wenn das nicht der Fall ist. Eine Aufnahme, die 2019 für 43750 Dollar verkauft wurde zeigt ein amerikanisches Indianermädchen, das breit in die Kamera lächelt. Und diese Aufnahme war so ungewöhnlich, dass Artikel darüber geschrieben wurden und das Ganze viral durch das Netz rauschte.

Wir erkennen also moderne Fotos auch an den Gesichtsausdrücken. Und an den Posen. Und immer, wenn dieser Stil gebrochen wird, sind wir irritiert. Und das alleine, finde ich, ist ja schon eine spannende Beobachtung.

Meine Kinder haben ja einen siebten Sinn und bemerken unfehlbar, wenn ich versuche, eine Kamera auf sie zu richten, um ein Foto von ihnen zu machen. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Grimassen, die ich da manchmal geerntet habe, nicht auch irgendwann mal zum Trend werden.

2 Responses

  1. DAT sagt:

    Für mich stellte sich beim Nachhören ja spontan die Frage ob du jetzt selbst dagesessen hast und in alter Leica-Werbung durchgezählt hast wie oft jemand lächelt. 😀

    • Dirk sagt:

      Nein, die Aussage ergab sich aus einem der Paper in denen es um Lächeln in Fotografien und in Werbeaufnahmen ging 🙂
      Selbst nachzählen wäre dann doch etwas arg mühsam…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert