16. Januar 2021

Wenn Präsidenten Elche reiten

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Theodore Roosevelt hatte ein schier unglaubliches Leben mit einer Dichte an Ereignissen die ihresgleichen sucht. Außerdem hinterließ er eine Spur aus Fotografien, unter anderem eine Aufnahme in der er auf einem Elchbullen durch einen See schwimmt…


Transkript

Ich habe einen Lieblings-USPräsidenten und das ist nicht Barack Obama. Es ist ein Mann, dessen Leben so bizarr vollgepackt ist, kein Drehbuchautor hätte sich getraut, so eine Geschichte vorzuschlagen. Und die meisten Stationen sind fotografisch belegt, denn Präsident Theodore Roosevelt fotografierte nicht nur selbst, sondern war außerdem noch eine fotogene Berühmtheit in einer Zeit, in der die Kameratechnik in großen Sprüngen nach vorne schritt und nach und nach die Presse das Medium für sich eroberte.

Er wird am 27. Oktober 1858 in eine reiche Familie in New York City geboren und er bekam den Namen seines Vaters. Und Theodore Roosevelt Senior war ein niederländischer, in die USA ausgewanderter, erfolgreicher Geschäftsmann. Der reist viel durch die Welt und nimmt seinen Sohn mit. Und so lernt klein Theodore Italienisch, Französisch, Deutsch, Englisch kann er sowieso schon, ein bisschen Niederländisch.

Aber es war auch von Anfang an klar, dass klein Theodore talentierter als die Meisten seiner Altersgenossen und erfolgreicher als seine Altersgenossen war. So schreibt er mit 9 sein erstes Buch, ein Buch über Zoologie. Das ist übrigens ein Alter, in dem ich eine leere Arzneimittelflasche genommen habe, mit Wasser gefüllt hatte und dann behauptete, ich hätte eine neue Medizin gegen praktisch alles namens Dirkinium erfunden.

Teddy Roosevelt schreibt mit 9 eben wie gesagt ein Buch. Und dieses Buch ist nicht nur über Zoologie, sondern enthält und dokumentiert Forschungen, die er angestellt hat, die sogar das Feld der Zoologie weiter brachten. Waren jetzt keine großen Sachen, aber hey, er war 9.

Und er macht das, obwohl er nicht ganz gesund ist. Er hat eine Krankheit, die hin und wieder dazu führt, dass er Atemnot bekommt. Das hindert ihn aber nicht daran, im Alter von 11 Jahren der jüngste Mensch zu sein, der den Mont Blanc bestiegen hat.

1876 tritt er ein Studium in Harvard an. Ihn interessieren besonders die naturwissenschaftlichen Themen. Später wird er noch ein Studium der Rechtswissenschaften an der Columbia University antreten und abbrechen. Aber bleiben wir erstmal in Harvard. Da schreibt er nämlich ein Buch über Seekrieg und Seetaktik, das bis in die heutige Zeit Gültigkeit hat.

Es ist auch diese Zeit, in der ungefähr sein Vater stirbt. Und wäre das nicht tragisch genug, stirbt wenige Jahre darauf seine Mutter und gerade mal 11 Stunden nach seiner Mutter verstirbt seine Frau am Kindbett.

Verständlicherweise reicht das dicke, um Theodore aus der Bahn zu werfen. Er schmeißt erstmal alles hin und beschließt, auf Reisen zu gehen, um seinen Kopf freizubekommen. Wohin? Der wilde Westen ist vielleicht gar nicht so schlecht. North Dakota.

Kurz nach dem Tod seines Vaters hatte Theodore damit begonnen, sich in der Politik zu engagieren und ein Mal Politiker, immer Politiker. Auch in der Wildnis von North Dakota braucht man schließlich Amtsträger und so wird er 1886 zum Sheriff von Billings County ernannt. Theodore Roosevelt hatte Geld. Und so hat er dort auch mit einer Ranch und entsprechenden Cowboys einen wahrscheinlich ganz ordentlichen Hausstand gehabt.

Der frisch gebackene Sheriff hat auch gleich seinen ersten Fall in der Hand. Und der betrifft ihn auch direkt selbst: Es ist Frühjahr. Der Winter ist noch nicht weg. Es hat noch deutliche Minusgrade und der little Missouri ist nach wie vor mit Eisschollen bedeckt. Gleichzeitig ist der Missouri eine wichtige Verkehrsstraße. Und so hat auch Teddy Roosevelt mehrere Boote.

Und unsere Geschichte beginnt damit, dass ihm eines dieser Boote von drei Dieben gestohlen wird. Als Sheriff will man das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Und so nimmt Theodor mit zwei seiner Bediensteten die Verfolgung in einem anderen Boot auf. Es geht flussabwärts, direkt in die Wildnis. Es ist eine Region, in der Berglöwen jagen. In der zweistellige Minusgrade sind. Und das einsetzende Frühjahrestauwetter sorgt für reißende Strömung und hohe Wasserstände.

Theodore und seine Männer haben Gewehre dabei und etwas Werkzeug und zur Zerstreuung hat Theodor noch geistesgegenwärtig eine Ausgabe von Anna Karenina in seine Tasche geworfen. Die wird er dann im folgenden auch ausreichend brauchen, denn er hat viel Zeit an der Hand.

Das Erste, was nämlich passiert, ist, dass ihn dieses zweite Boot, mit dem sie die Verfolgung aufgenommen haben, von denselben Dieben auch noch gestohlen wird. Die wiegen sich auch in Sicherheit, denn Theodore und seine zwei Begleiter sind so weit ab von jeglicher Zivilisation, dass an einen Fußmarsch zurück nicht zu denken ist. Es ist eigentlich fast sicher, dass die in der Wildnis erfrieren werden. Wenn die Berglöwen sie nicht vorher bekommen.

Allerdings hatten die Diebe da die Rechnung ohne Theodore gemacht. Der schafft es nämlich, mit seinen zwei Cowboys zusammen genügend Holz zusammenzutragen, dass sie sich selber ein Boot bauen können und mit diesem Boot nehmen sie dann nochmals die Verfolgung der Diebe auf. Und überraschen die. Die haben nämlich jetzt nicht mehr damit gerechnet, ihrem Sheriff nochmal zu begegnen.

Mit den Dieben im Schlepptau sind die jetzt auch ziemlich langsam, früher hat man ja gern mal kurzen Prozess gemacht, speziell der Sheriff könnte ja sogar rechtlich einwandfrei einfach an Ort und Stelle die Erschießung anordnen, aber Roosevelt beschließt, mit ihnen so nicht nur den Rückweg anzutreten, sondern sie in die nächstgrößere Stadt zu bringen. Und um das kurz in Perspektive zu setzen: Das war eine acht-Tagesreise mit den Booten zurück und dann ein 36-Stunden-Gewaltmarsch zur nächsten größeren Stadt. Immer, wenn sie Pause machten, las Roosevelt in Anna Karenina. Und, weil Roosevelt unter anderem auch eine Kamera mitgenommen hatte, gibt es Fotos von diesen drei Dieben und Sheriff Theodore Roosevelt, wie er mit Gewehr im Anschlag Wache hält.

Wer mir 9 sein erstes Buch schreibt, in Harvard ein Militärbuch verfasst und danach von New York in den Westen reist, um dort Sheriff zu werden, ja, den hält es nicht lang. 4 Jahre später befindet sich Roosevelt wieder an der Ostküste. Dort hat es ihn in die Navy verschlagen. Und in die nationale Politik. Es ist das Jahr 1898, als sich die USA an der Schwelle zum Krieg mit Spanien befinden.

Ja, und Theodore Roosevelt hat mal wieder Lust auf Veränderung. Er legt seine Position als Secretary of the Navy nieder und schließt sich einem Kavallerieregiment namens „Rough riders“ an. Die sind eine wilde Mischung aus reichen Playboys, irgendwelchen Schlägertypen und ehemaligen Cowboys. Er kämpft an den verschiedensten Schauplätzen, wird unter anderem auf Kuba mehrmals beinahe getötet und wird vom Schicksal in die Schlacht von San Juan Hill, eine der wichtigsten Schlachten in dieser Auseinandersetzung, gespült. Es ist diese Schlacht, die ihn endgültig berühmt machen wird. Obwohl ich mich frage, ob der nicht einfach nur versucht hat, sich selbst umzubringen.

Als ihm nämlich die Sache nicht schnell genug vorangeht, springt er auf ein Pferd, schreit seinen Kameraden zu, dass sie ihm folgen sollten und reitet im vollen Galopp auf die gegnerischen Reihen zu. Der Gegner feuert aus allen Rohren auf ihn, verfehlt ihn aber, während er bemerkt, dass ihm bis auf zwei, drei Nasen niemand hinterher geritten ist. Er dreht also um, reitet zurück, schreit seine Kameraden an, sie sollten ihm doch gefälligst folgen, reitet mit dem Pferd dann in Stacheldraht, wodurch er gezwungen wird, abzuspringen und stürmt dann ein zweites Mal zu Fuß, diesmal mit mehreren seiner Mitkämpfer im Schlepptau, denselben Hügel hinauf. Auf dem Hügel angekommen erschießt er gleich auch den ersten gegnerischen Soldaten, ja, und ganz allgemein war diese Überraschungsoffensive dann doch recht erfolgreich. Eine Aktion, die ihm dann später eine medal of honor einbringt.

Es gibt übrigens Berichte, wonach Theodore Roosevelt zu der Zeit Malaria gehabt haben soll, also vielleicht ist er ja im Fieberdelirium da raufgerannt, wer weiß das schon.

Nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg arbeitet er weiter an seiner politischen Karriere und wird am 4. März 1901 Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Gerade mal 6 Monate später wird ein Attentat auf den Amtsinhaber MCKinley verübt und macht damit Theodore Roosevelt mit gerade mal 42 Jahren zum bis dahin jüngsten Präsidenten. 8 Jahre, also two terms, bleibt er in dieser Position.

Damals war es übrigens noch nicht Gesetz in den USA, dass man sich nur zwei Mal als Präsident aufstellen lassen durfte. Er verzichtet zunächst auf eine dritte Kandidatur und überlässt seinem Konkurrenten William Taft das Feld. 1912 entscheidet er sich aber um. Weil aber seine eigene Partei, die Republikaner, seine Kandidatur diesmal nicht unterstützen, tritt Theodore Roosevelt nicht als Kandidat der Republikaner oder der Demokraten, sondern der Progressiven an.

In den USA haben die Parteien ja Maskottchen. Die Republikaner haben einen Elefanten und die Demokraten haben einen Esel als Maskottchen. Die progressive Partei, für die Theodore Roosevelt antrat, hatten auch ein Maskottchen: Einen Elchbullen. Und da sind wir jetzt bei einem sehr ungewöhnlichen Foto angekommen: Die Aufnahme zeigt Theodore Roosevelt, wie er einen doch beeindrucken großen Elch reitet, während der offensichtlich durch einen Fluss oder See schwimmt. Und das ist ein Bild, das in den USA jedes Kind kennt. Dagegen verblasst doch Putin, der oben ohne auf einem ganz ordinären, eigentlich nicht mal besonders großen Pferd sitzt, oder?

Die Aufnahme wird am 8. September 1912 im New York Tribune veröffentlicht. Zusammen mit zwei anderen Aufnahmen: Das eine Bild zeigt den Kandidaten der Republikaner, William Howard Taft, wie er einen Elefanten reitet, das zweite Bild zeigt den Kandidaten der Demokraten, Woodrow Wilson, auf einem Esel, und das dritte zeigt Theodore Roosevelt mit dem Moose, also dem Elch. Es war also ein Wahlkampffoto.

Und es war leider auch nicht echt. Auch wenn echte Theodore Roosevelt Fans es immer noch glauben wollen, dass er wirklich auf einem Elch ritt, war es eine Fotomanipulation. Das Fotostudio „Underwood & Underwood“ nahm dazu ein Bild von Theodore Roosevelt auf einem Pferd und ein Foto eines schwimmenden Elches und kombinierte die geschickt. Wer sich das linke Bein genau ansieht, kann an den Wellen erkennen, dass es eine Manipulation ist.

Es ging turbulent zu damals. Roosevelts Partei sorgte für eine Spaltung der Republikaner. Und es war ein harter Wahlkampf. Die Kandidaten eilen von Redetermin zu Redetermin. Und damals hat man noch wirklich lang und ausführlich gesprochen.

Wir befinden uns jetzt mental bei einer solchen Wahlkampfveranstaltung. Theodore Roosevelt nimmt noch ein Bad in der Menge und soll eine Rede halten. Wir alle kennen doch diese Filme, oder? Wo der Held von einem Bösewicht angegriffen wird. Im letzten Augenblick, alles scheint schon gewonnen zu sein, kommt jemand und schießt ihm in die Brust. Der Held geht zu Boden, alle um ihn rum verzweifeln und gerade, als wir fast schon glauben, dass er vielleicht doch gestorben ist, stellt sich raus, dass die Kugel von einem Zigarettenetui, einer Münze, einer Bibel oder was auch immer zufällig in der Tasche unseres Helden steckte, aufgefangen war. Und wir verdrehen die Augen. Ein Film, der sich sowas leistet, kann das nicht ernst meinen.

Außer es ist eine Doku über Theodore Roosevelts Leben. Denn genau das passiert an diesem schicksalshaften Tag. Theodore Roosevelt hat ein Stahlbrillenetui und eine gefaltete Version seiner Rede, 50 Seiten immerhin, in seiner Brusttasche und beide nehmen genug Wucht aus der Patrone, dass die zwar in seinen Brustkorb eindringt, ihn aber nicht umbringt. Ja, und was uns nicht umbringt, härtet ab, würde ich sagen, und deswegen, richtig, lässt sich Roosevelt auch nicht von seiner Rede abhalten. Mit der Kugel im Brustkorb steigt er aufs Rednerpodium und hält, wie geplant, seine 90-minütige Wahlkampfrede.

[Einspieler]

„I believe again, that the american people are, as of all, capable of self control and the learning by their mistakes.“

Und erst danach macht er sich auf den Weg ins Krankenhaus, wo die Ärzte beschließen, die Kugel an ihrem Platz zu lassen. Das ist beeindruckend.

Er gewinnt die Wahl übrigens diesmal nicht. Es wird ein anderer Roosevelt sein, der später dann drei Terms hat, ein Enkel. Ich könnte jetzt hier noch viel, viel länger erzählen, was Roosevelt noch alles erreicht hat. Zum Beispiel, dass er der erste Amerikaner war, der den Friedensnobelpreis bekommen hat. Dass er einer der vier Präsidentenköpfe an Mount Rushmore ist. Dass natürlich der Stoffteddy den Namen ihm zu Ehren trägt.

Aber für den Zweck des Fotomenschen Podcast bleibt einfach mal festzuhalten, dass Theodore Roosevelt nicht nur beeindruckend als Persönlichkeit war, sondern auch der Präsident, der als erster umfassend mit Fotografie spielte. Es gibt von jeder wichtigen Station seines Lebens gute und detaillierte Fotografien. Er selbst fotografierte auch. Und bis heute kennen viele Amerikaner Bilder, die entweder Theodore Roosevelt zeigen oder von ihm gemacht wurden. Und das ist über hundert Jahre später eine reife Leistung.

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