20. August 2022

Die menschliche Familie

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Edward Steichen wird als der einflussreichste Fotograf des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Er war nicht nur durch seine eigene Fotografie stilprägend und erfolgreich sondern besonders als Direktor der fotografischen Abteilung des Museum of Modern Art in New York richtungsweisend. Er prägte die Karrieren unzählicher Fotograf:innen und kuratierte einige der berühmtesten Ausstellungen seiner Zeit. Eine dieser Ausstellungen, The Family of Man, ist bis heute unerreicht.


Transkript

Edward Steichen gilt als der einflussreichste Fotograf des 20. Jahrhunderts.
Er hat das meistverkaufte Fotobuch aller Zeiten herausgebracht,
einen Ausstellungskatalog der meistbesuchten Ausstellungen aller Zeiten.
Er hat einen einzigen Film als Regisseur verantwortet, der dann auch gleich noch einen Oscar gewonnen hat
und mehr als nur eine Karriere in der Fotografie hinter sich gebracht.
Dabei war Fotografie noch nicht mal das einzige, was er in seinem Leben gemacht hat.
Edward Steichen wird am 27. März 1879 in Luxemburg geboren.
Da war er allerdings nur kurze Zeit, denn seine Eltern mussten aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen
und beschlossen, in die USA zu emigrieren.
Er war 15, als er sich seine erste Boxkamera kaufte.
Und das erste Foto, das er je geschossen hat, ist eine Aufnahme seiner Schwester.
Die Kamera würde ihn sein Leben lang begleiten, aber zunächst dachte er eigentlich,
er würde entweder Drucker oder Maler werden.
Er macht eine Ausbildung zum Lithografen und beschließt, Kunst in Paris zu studieren.
Kurz bevor er aufbricht, hält er sich noch in New York auf
und lernt dort den schon erfolgreichen und einflussreichen Fotografen Alfred Stieglitz kennen.
Damals wie heute wurde die Frage, ob Fotografie denn eigentlich Kunst sein könnte, heiß diskutiert
und es gab eine Bewegung unter Fotografen, Bilder zu schaffen, die wie Gemälde aussahen.
Wem das jetzt bekannt vorkommt, ja, das ist nicht das erste Mal, dass der sogenannte Piktorialismus aufkommt.
Schon die ersten großen Fotografinnen und Fotografen versuchten, in ihren Gemälden der Malerei nachzueifern.
Stieglitz, Steichen und Zeitgenossen, also die neuen Piktorialisten,
sahen sich dabei in Konkurrenz zu einer anderen Schule der Fotografie.
Es gab nämlich auch die Fotografinnen und Fotografen, die darauf pochten,
dass Bilder scharf und adäquate Abbildungen der Realität sein mussten.
Während also Fotografen wie Ansel Adams damit beschäftigt waren,
möglichst scharf und präzise kalkulierte Bilder zu produzieren,
wackelten Piktorialisten gezielt am Stativ, um dem Bild eine gewisse Unschärfe zu geben
oder entwickelten eigene Druckverfahren, um dem Bild eine malerische oder zeichnerische Anmutung zu geben.
Edward Steichen reiste dann auch tatsächlich nach Europa weiter und tritt sein Studium in Paris an.
Er lernt das Who is Who der französischen Kunstszene kennen
und schmiedet mehrere einflussreiche, lebenslange Freundschaften.
Außerdem wird er so eine Art früher Jet-Setter.
Immer wieder besteigt er Dampfschiffe, um den Atlantik zu überqueren
und trägt so zum regen Austausch zwischen der europäischen und der amerikanischen Kunstszene bei.
1903 stellt ihm die Fotografin Gertrude Käsebier Clara Emma Smith vor,
eine junge Sängerin, die er heiratet und mit der er mehrere Kinder hat.
Edward Steichen verdient seinen Lebensunterhalt bereits mit Auftragsarbeiten jeglicher Art,
sowohl in der Malerei als auch in der Fotografie.
Seine Kontakte und frühen Fotografen von berühmten Künstlern in Paris
helfen ihm dabei, neue Aufträge an Land zu ziehen.
Und er hat sich bereits etabliert als jemand mit einem ungewöhnlichen Blick
und ist bekannt dafür, dass er eine ungewöhnliche Bandbreite an fotografischen Fähigkeiten besitzt.
So macht er Porträts, Stillleben, Auftragsarbeiten für die Industrie
und gilt als einer der frühesten Vertreter der Fashion-Fotografie.
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, sehen sich die Steichens gezwungen, wieder in die USA zu emigrieren.
Er meldet sich freiwillig zum Militärdienst.
Als der etablierte Fotograf, der er ist, bekommt er den Auftrag,
eine fotografische Abteilung aufzubauen und die technischen Verfahren zu standardisieren.
Er entwickelt besonders kleine, leicht aufzubauende Dunkelkammern,
standardisiert die Filmformate, die die französischen, britischen und amerikanischen Einheiten verwenden,
hilft dabei, die Kameratechnik zu perfektionieren, die für Luftaufnahmen und Aufklärung verwendet wird
und legt technologische Grundsteine, die bis heute gelten.
Aus dem Krieg zurückgekehrt und inzwischen geschieden,
konzentriert sich Steichen auf seine fotografische Laufbahn.
Er heiratet ein zweites Mal.
Diese Ehe mit Dana Despero Glover wird 34 Jahre lang bis zu ihrem Tod halten
und seine glücklichste Beziehung sein.
1926 macht er internationale Schlagzeilen,
als er sich mit den amerikanischen Behörden um die Definition eines Kunstwerks streitet.
Gegenstand des Streits war eine Skulptur „Bird in Space“, die er von einem Freund gekauft hatte.
Die Zollbehörden sahen darin eher eine Art Küchenutensil
und weigerten sich, den Gegenstand als Kunst anzuerkennen.
Eine Diskussion, die sie schließlich vor Gericht mit Edward Steichen fortführen mussten
und die Steichen für sich entschied.
Der Nebeneffekt dabei war, dass Edward Steichen damit die Definition von Kunst
nach amerikanischem Recht grundlegend verändert hatte.
Es ging also nicht nur ums Prinzip, sondern auch wieder um die grundlegende Frage,
was ist Kunst?
Inzwischen hatte Steichen schon mehrere Ausstellungen organisiert.
Sowohl Malerei als auch Fotografie war sein Thema und ging ineinander über.
Als Teil der Fotovereinigung „Foto Secession“,
Mitarbeiter bei Stieglitz‘ einflussreichen „Camera Works“ Magazins,
als etablierter Kunstsammler und Künstler hatte er inzwischen so einiges an Autorität.
Es sind diese Jahre, wo er anfängt, mit der einflussreichen Contenast-Gruppe zusammenzuarbeiten.
Auf der einen Seite produziert er Werbefotografie,
auf der anderen Seite wird er von Contenast beauftragt, Fashionfotografie zu machen.
Und es sind diese Jahre, die ihn zum bestbezahlten Fotografen der Welt aufsteigen lassen.
Er prägt und verändert den Stil der damaligen Zeit
und inzwischen sind seine Fotos auch immer seltener piktorialistische Fotos
und immer öfter abstrakte, aber scharfe und realistisch abgebildete Aufnahmen.
Wenn er nicht fotografierte oder malte,
war er mit seiner Schwester beschäftigt, neue Pflanzenarten zu züchten.
Beide teilten eine Leidenschaft für die Botanik und hatten damit begonnen,
insbesondere Rittersporn-Varianten zu züchten, die es bisher so nie gegeben hatte.
Edward Steichen und seine Schwester sind aber mehr als Hobbygenetiker.
Ihre Pflanzen, so sind sie überzeugt, sind nicht weniger als lebende Kunstwerke.
Und so organisiert Edward Steichen 1936 in Zusammenarbeit mit dem Museum of Modern Art
eine Ausstellung rund um den Rittersporn, eine Pflanzenart, die sie besonders oft züchteten.
Und diese Ausstellung war ein Erfolgstreffer.
Das Museum sah Rekordbesucherzahlen.
Menschen waren enthusiastisch. Sowohl Museumsgänger, Züchter oder Hobbygärtner
hatten ihre Freude an der sehr ausgefeilten und künstlerischen Präsentation dieser Pflanzen.
Tag für Tag wurde LKW-weise Pflanzmaterial zum MoMA angefahren.
Und Edward beschäftigte sich nach dem Kuratieren dieser Ausstellung dann außerdem mit der Dokumentation
und machte eindrückliche, wunderschöne Aufnahmen dieser Pflanzen.
1941 kommt es zum Angriff auf Pearl Harbor. Edward Steichen ist zu diesem Zeitpunkt 62 Jahre alt.
Trotzdem lässt er es sich nicht nehmen, sich wieder freiwillig für den Militärdienst zu melden.
Eigentlich ist er zu alt, aber Edward Steichen hat Kontakte.
Und so beauftragt ihn die US Navy, eine fotografische Einheit aufzubauen.
Ein Auftrag, den er nur zu gerne annimmt.
Er baut diese fotografische Einheit auf und nimmt auch an Kriegshandlungen teil.
Gleichzeitig findet er aber die Zeit, zwei Ausstellungen militärischer Aufnahmen zu machen.
Antikriegsaufnahmen. Er will die Horror des Krieges zeigen und damit Menschen aufrütteln.
Außerdem dreht er noch auf dem Flugzeugträger, dem er zugewiesen wurde, einen Dokumentationsfilm.
Den einzigen Film, den er je verantwortet hat.
Und diese Dokumentation bekommt auch prompt dann im darauf folgenden Jahr einen Oscar verliehen.
Als der Krieg vorbei und Edward Steichen wieder zurück in den USA war, war er 67 Jahre.
Viele würden in so einem Alter wahrscheinlich an die Rente denken.
Für Edward Steichen beginnt jetzt aber eine Zeit, die die erfolgreichste und krönende seines Lebens sein würde.
Er bekommt das Amt des Direktors für die fotografische Abteilung im MoMA angetragen.
Ein Posten, den vor ihm überhaupt nur eine Person bisher gehabt hatte.
In dieser Rolle war man nicht nur verantwortlich für fotografische Ausstellungen, sondern auch Kurator des Museums.
Und es ist diese Rolle, in der Edward Steichen einige der berühmtesten Fotografen und Fotografen dieser Zeit mit verewigt.
Namen wie Robert Frank, Deanne Arbus, Dorothea Lange, Lee Miller oder Stephen Shore.
Er kuratiert 44 Ausstellungen während seiner Amtszeit.
Alle für sich genommen Erfolge, aber eine, mit der er sich selbst, der Fotografie,
Dutzenden Fotografen und Fotografen und der Menschheit selbst ein Denkmal setzt.
Hören wir ihm kurz zu, was er selbst dazu sagt.
Ich hatte das Gefühl, oder eher die Hoffnung, dass wenn die Menschen wirklich sahen,
was die Kriegssituation in all ihrer Bestialität und Brutalität war,
dass das ein Deterrent sein könnte, dass die Menschen aufwachen.
Hier bezieht er sich auf seine Anti-Kriegsausstellungen, die er noch während dem Zweiten Weltkrieg gemacht hatte.
Er hatte die Hoffnung gehabt, dass die Menschen von Kriegsbildern abgeschreckt würden,
dass sie sehen würden, wie unmenschlich und grausam Krieg ist und dadurch davon überzeugt werden würden,
dass Krieg mit allen Mitteln verhindert werden müsste.
Aber die Leute, so sagt er, kamen zu der Ausstellung, fanden die auch toll, sahen die aufmerksam an.
Manchmal sah man jemanden mit Tränen in den Augen.
Und dann verließen sie die Ausstellung und vergaßen alles, was sie dort gesehen hatten.
Und die Grundlage für das, hat mich plötzlich aufgepragt,
war, dass die Idee von einem negativen Standpunkt herangehoben wurde.
Und von einem negativen Standpunkt her, tut nichts gut.
Also habe ich, als ich darüber nachdenkte, gesagt,
jetzt, wechseln wir von dem positiven Standpunkt her,
ich muss zeigen, wie wunderbar das Leben ist und wie Menschen weltweit ähnlich sind.
Und das hat in der „Familie von Menschen“-Exhibition erfolgt.
Und als er darüber nachdachte, kam er zu dem Ergebnis,
dass das Hauptproblem war, dass Ausstellungen mit Kriegsfotografie das Thema negativ angehen.
Und nichts, sagt er, das man negativ angeht, hat jemals was Gutes hervorgebracht.
Und so wollte er eine Ausstellung machen, die genau andersherum funktioniert.
Er wollte den Menschen zeigen, was allen Menschen gemeinsam ist,
wie schön die Menschheit ist, wie wundervoll Leben ist.
Und das war der Startgedanke seiner wichtigsten, größten und berühmtesten Ausstellung.
Der Titel „The Family of Man“.
Los übersetzt könnte man sagen „Die menschliche Familie“.
Aus moderner Sicht hätte man den Titel vielleicht anders gewählt.
Aber „Man“ war damals in den 50ern einfach nur Synonym für Menschheit.
Edward Steichen jedenfalls beginnt mit der Arbeit an dieser Ausstellung,
indem er zunächst mal mehrere hundert Aufnahmen von verschiedensten Künstlern einkauft.
Gleichzeitig bittet er eine Freundin, Dorothea Lange, einen Aufruf in die Welt zu schicken.
Es wurde eingeladen, Fotos einzureichen, die in eine von 32 Kategorien passten und zum Thema der Ausstellung.
Und der Aufruf wurde überall auf der Welt vernommen und beantwortet.
Über zwei Millionen Fotografien wurden eingereicht.
In den folgenden drei Jahren wurde diese unglaubliche Menge an Material gesichtet
und auf knapp 1000 Aufnahmen runtergedampft und dann in einem zweiten Durchlauf auf 503 Aufnahmen reduziert.
503 ist übrigens immer noch für eine fotografische Ausstellung eine gewaltige Zahl.
Normalerweise versucht man da deutlich drunter zu bleiben.
Die Aufnahmen kamen tatsächlich aus der ganzen Welt.
Allerdings war es trotzdem so, dass ein Großteil der 273 Fotografinnen und Fotografen
einen eher westlichen Blick auf die Welt gehabt haben dürften.
Allein 70 stammten aus Europa und 163 waren aus den USA.
Viele waren allerdings weit gereist.
Es wurde also wirklich versucht, die gesamte Welt und auch fremde Kulturen abzubilden.
Trotzdem kann man bis heute dieser Ausstellung vorwerfen,
dass sie einige eher konservative Perspektiven auf die Welt einnahm
und den Bias, der in dieser Fotograf:innen-Auswahl schon drinsteckt, natürlich nicht ganz abschütteln kann.
Als die Bilder dann erstmal ausgewählt waren, ging es an das Ausstellungsdesign.
Und auch das war damals groundbreaking, also noch nie da gewesen.
Die Bilder waren in den unterschiedlichsten Größen, manche ganz klein, manche riesengroß gedruckt
und konnten an der Decke, hoch an der Wand, niedrig an der Wand oder auch am Boden zu finden sein.
Begleitet wurden die Bilder von Ausschnitten aus Zitaten oder kurzen Gedichten.
Und die letzte Aufnahme zeigt, nachdem man durch die gesamte Bandbreite der menschlichen Erfahrungen gegangen ist
und oft auch sehr schöne Alltags-Szenen gesehen hat, einen Atompilz als abschließende Mahnung,
dass die Menschheit es in der Hand hat, die schützenswerte Existenz und Erfahrung des menschlichen Lebens zu zerstören oder zu bewahren.
Dadurch wird auch klar, in welcher Zeit diese Ausstellung stattfand.
Es war der Kalte Krieg und die ständige Bedrohung eines möglichen nuklearen Konflikts war natürlich allen präsent.
Die Ausstellung blieb auch nicht aufs MoMA in New York begrenzt, sondern ging auf Tournee.
Sie war schon in MoMA eine Sensation und die Tournee verstärkte das noch.
69 Mal wurde in 37 Ländern „The Family of Man“ ausgestellt
und mehrere Ableger-Ausstellungen mit Einzelthemen daraus wurden ebenfalls kuratiert.
Bis heute ist es die meistbesuchte und meistbeachteteste Fotoausstellung aller Zeiten.
Über 10 Millionen Menschen haben diese Ausstellung gesehen.
Wie es für solche Ausstellungen üblich ist, produzierte Edward Steichen natürlich auch den dazugehörigen Ausstellungskatalog.
Ein großformatiges Taschenbuch, in dem man die ausgestellten Bilder nachschlagen konnte.
Für viele dürfte das das erste Buch gewesen sein, das sie gekauft haben,
das sich fast ausschließlich mit Fotografie befasst und kaum Text enthält.
Über 4 Millionen Mal ist der Ausstellungskatalog von „The Family of Man“ inzwischen verkauft worden
und damit das meistverkaufte Fotobuch aller Zeiten.
Blättert man das Buch durch oder besucht die Ausstellung, wird man auch viele Bilder wiedererkennen.
Manche der Fotografinnen und Fotografen, die beitrugen, waren zu dem Zeitpunkt bereits selbst weltberühmt.
Aber für viele markiert diese Ausstellung auch den Startpunkt einer fotografischen Karriere.
In jedem Fall ist es so, dass man natürlich Namen wie Henri Cartier-Bresson oder Robert Duranon
oder Margaret Bourke-White, Dianne Arbus, Lee Miller, Robert Frank, Robert Capa, Edward Weston,
Dorothea Lange, Andreas Feininger, Ansel Adams, Irving Penn, Eve Arnold, Richard Avedon oder Gary Winogrand
aus der späteren Fotogeschichte nicht mehr wegdenken kann.
Es ist diese Ausstellung jedenfalls, die Edward Steichen endgültig in den Geschichtsbüchern der Fotografie unsterblich macht.
Man kann sie übrigens bis heute besichtigen.
Nach seinem Tod wurde sie nach Luxemburg überführt, wo sie bis heute in Dauerausstellungen besichtigt werden kann.
Und auch den Katalog „The Family of Man“ kann man nach wie vor bestellen.
Ich habe ein Exemplar hier und es lohnt sich absolut.
Die Bilder sehen dabei erstaunlich modern aus.
Viele haben nichts von ihrer Wirkmächtigkeit verloren.
Es sind eben Bilder von überall auf der Welt und allen möglichen Situationen, die wir alle wiederkennen.
Freude, Trauer, Liebe, Wut, Momente der Stille, Momente der Ehrfurcht.
Wir erkennen die Menschen, wir erkennen die Situationen.
Und auch wenn so eine Ausstellung heute wahrscheinlich etwas diverser kuratiert werden würde,
erreichen diese Bilder meiner Meinung nach immer noch, was sich Edward Steichen erhofft hatte.
Eben daran zu erinnern, dass wir Menschen mehr gemeinsam haben als uns trennt.
Und deswegen ist diese Ausstellung auch zu Recht im UNESCO-Weltdokumentenerbe verewigt.
1960 und 81-jährig heiratet Edward Steichen die 26-jährige Joanna Taub.
Zwei Jahre später setzt es sich endgültig zur Ruhe.
Eine Ausstellung über die Great Depression ist seine letzte große fotografische Arbeit.
Er zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und beschäftigt sich mit Fotografie, Malerei und seinen Pflanzen.
So genießt er seinen Lebensabend und stirbt mit 94 Jahren am 25. März 1973.
Edward Steichen war einer dieser Fotografen, der mehr als nur eine Karriere gehabt hat
und dabei so viel Einfluss aufs Medium ausgeübt hat, dass man wahrscheinlich gar nicht anders kann,
als ihn nicht mehr wahrzunehmen, weil er einfach omnipräsent ist.
Er hat mehrere große Moden der Fotografie mitgemacht und mitgestaltet
und ließ sich weder auf ein Genre noch auf eine bestimmte Tätigkeit festlegen.
Er war Maler, er war Fotograf, er war Kurator, er war Aussteller, er war Sammler, er war Botaniker,
Herausgeber, Publizist und hat dabei aber nie aus den Augen verloren, wen er versucht zu erreichen.
Und er behielt einen ganz pragmatischen Blick auf seine Kunst.
Mit dem Vorwurf konfrontiert, dass der Kommerz in seiner Arbeit ja vielleicht auch die Kunst in den Hintergrund gedrängt hätte,
hat er zum Beispiel Folgendes zu sagen.
Ich kenne keine Kunst, die nicht oder nicht kommerziell war.
Michelangelo sollte auf seinem Todesfelsen schon einmal beschweren,
dass er nie die Möglichkeit hatte, das zu tun, was er wollte.
Es gab immer Popen und Potentaten, die ihm Anrufe und Verpflichtungen für das, was sie wollte, gegeben haben.
Aber er hat eine gute Arbeit gemacht, um dieses Geld zu füllen.
Er kennt keine Kunst, die nicht wenigstens in Teilen kommerzialisiert ist, sagt er.
Und als Beispiel bringt er Michelangelo, der sich nämlich auf seinem Sterbebett beschwert hat,
dass er in seinem ganzen Leben fremdgesteuert worden war.
Immer gab es irgendwelche Päpste oder Herrscher, die von ihm irgendwelche Aufträge erfüllt haben wollten.
Aber, so sagt Edward Steichen, am Ende hat er das doch wirklich ganz gut gemeistert, Kunst und Kommerz zu verbinden.
Ein Fotograf macht nie wirklich Fotos, außer er wird davon bewegt,
er wird davon begeistert oder er ist sehr interessiert.
Und was die richtige Kunst ausmacht, so sagt er, hat mehr mit der inneren Einstellung zu tun.
Ein Fotograf macht kein richtiges Bild, wenn er nicht wirklich interessiert ist an dem Objekt, das er fotografiert.
Ein Bildnehmer und ein „Buttonpusher“, wie ich ihn auch nennen würde,
er schießt einfach an Dinge, die er von anderen gesehen hat.
Ein Fotograf establicht eine Beziehung, eine intime Beziehung zwischen sich und dem, was er fotografiert,
ob es ein Kern der Beine ist, ein Landschaft oder ein Gras der Garbe.
Knipser hingegen, die fotografieren eigentlich nur Dinge, die sie von anderen schon mal gesehen haben.
Das ist ihnen eigentlich egal.
Aber ein Fotograf, so sagt er, der fotografiert, womit er eine intime Beziehung aufbauen kann.
Und dabei ist es ganz egal, ob es eine Dose Bohnen oder ein Star von Weltrang wie Greta Garbo ist.
Das war also Episode 85 des Foto-Menschen-Podcasts zu einem der einflussreichsten Fotografen aller Zeiten.
Und gleichzeitig einem Mann, den wahrscheinlich nur Foto-Enthusiasten kennen und selbst bei denen nicht alle.
Wenn euch der Podcast gefallen hat und ihr das Foto-Menschen-Projekt unterstützen wollt,
dann tut mir doch einen Gefallen und erzählt einfach weiter, dass es den Podcast gibt.
Ich podcaste nicht kommerziell, ich möchte also kein Geld, ich werde hier auch keine Werbung machen,
aber ich freue mich über Rückmeldung und über steigende Hörer:innenzahlen.
Rückmeldung ist ein gutes Stichwort.
Ihr erreicht mich natürlich auf Social Media.
Ich glaube, ich bin ja ganz allgemein relativ einfach zu finden,
aber am leichtesten im Zusammenhang mit dem Foto-Menschen-Podcast geht es natürlich auf Twitter oder Mastodon unter dem Handel Foto-Menschen.
Die Webseite foto-menschen.net enthält alle Links, Videos, Artikel etc., die ich zur Recherche für diese Folge benutzt habe
und viele, viele Episoden inzwischen mit Transkripts, sodass man auch ganz hervorragend durch die vergangenen 84 Folgen stöbern kann.
Und wer mag, darf mir da gerne einen Kommentar unter der Episode lassen.
Ich freue mich darüber immer ganz besonders.
E-Mail gibt es natürlich auch, mail@foto-menschen.net.
So viele Wege mich zu erreichen.
Und jetzt vielen Dank für eure Zeit, fürs Zuhören.
Bleibt gesund und bis zum nächsten Mal.

2 Responses

  1. Finn sagt:

    Vielen Dank für die spannende neue Folge – in der Tat hatte ich den Namen Edward Steichen noch nie gehört und bin nun sehr neugierig, in den ganzen von Dir gesammelten Quellen nachzustöbern und mehr über ihn zu erfahren!

  2. Simoes Alexandre sagt:

    Hallöchen Dirk,
    vielen Dank für diese Ausgabe (und alle anderen Ausgaben). Ich freue mich immer wieder aufs Neue, deinen neuen Podcast Fotomenschen zu hören!

    Beste Grüße
    Alex

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