3. April 2021

Das U-Boot von Loch Ness

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Das Ungeheuer von Loch Ness hat in der Welt der zweifelhaften Fotobeweise Celebrity-Status. Besonders auch deswegen weil es 60 Jahre dauerte bis das Foto mit dem seine Existenz „bewiesen“ wurde als Fälschung erkannt wurde.


Transkript

Nenne mir ein Fabelwesen und ich finde eine Community, die danach sucht. Das gilt buchstäblich für jegliches Wesen, das irgendwann schon mal der Gegenstand von Geschichten war. Die Liste dieser Wesen ist lang. Darauf sind altbekannte wie der Yeti genauso drauf, wie blutrünstige Würmer, die angeblich 1,20 Meter lang werden und in der Wüste Gobi leben. Örtlich ist man auch nicht festgelegt. Den Elwetritsch zum Beispiel kann man in Bayern oder der Pfalz suchen. Der Nunda kommt aus Tansania. Den gruseligen Chubacabra findet man zum Beispiel in Südamerika. Dann gibt es noch eine schier unüberschaubare Anzahl an Seemonstern, beim Kraken angefangen bis hin zum berühmtesten aller Seemonster, dem Monster von Loch Ness. Wenn man mal ganz ehrlich ist, kennen viele wahrscheinlich gar keine anderen Seemonster, als Nessie. Dabei gibt es derart viele sagenhafte Seeungeheuer, dass die Kryptozoologie eine eigene Fachrichtung, nämlich die Dragontologie ins Leben gerufen hat, nur um sich mit den verschiedenen Wasserkryptiden auseinanderzusetzen. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die Blütezeit der Kryptozoologie mit der ersten großen Blüte der Hobby Fotografie zusammenfällt, in der eben auch das eine oder andere verwackelte, verwaschene Foto von wahlweise Spuren oder den Ungeheuern höchstselbst auftauchten.

Das wichtigste Beweisfoto ist als the surgeon‘s fotograph, also das Chirurgen Foto bekannt. Das heißt so, weil der ursprüngliche Fotograf Robert Kenneth Wilson von Beruf Chirurg war, seinen Namen aber nicht in der Zeitung auftauchen sehen wollte. Erzählen wir die Geschichte vielleicht lieber von vorne. Nessie ist das Ungeheuer von Loch Ness. Loch ist schlicht und ergreifend ein anderes Wort für See. Die Seen in Schottland haben so manche Sagen, die oft auch was mit Ungeheuern zu tun haben. So hat nicht nur Loch Ness sein eigenes Ungeheuer. Sondern praktisch jeder größere See in Schottland hat eine Geschichte, die ganz ähnlich gestrickt ist. Loch Ness ist ein See in der Nähe der Stadt Inverness. Die erste Sichtung des Seeungeheuers von Loch Ness wird auf das Jahr 565 datiert. Sie taucht in der Lebensgeschichte eines irischen Missionars auf. Der soll nicht im See, sondern im Fluss Ness einem Ungeheuer begegnet sein, das versucht hatte, einen Wanderer, der des Weges gekommen war, zu fressen. Der Mönch hatten dann einfach das Kreuzzeichen in die Luft gemalt und dem Tier entgegengerufen, dass es sich in Gottes Namen von Dannen machen sollte und gefälligst keine Gottesfürchtigen Menschen fressen sollte. Davon war das Ungeheuer so beeindruckt, dass es sich sofort vom Acker machte. Die ganze Geschichte wird 100 Jahre später von einem Abt ausgeschrieben. Jeder darf jetzt selbst darüber nachdenken, wie glaubwürdig so ein Bericht ist. Über die Jahrhunderte hinweg gibt es immer wieder mal einzelne Berichte. Mal steigt ein großes Tier aus den Fluten und erschlägt Arbeiter am Ufer. Mal berichtet ein Mönch davon, dass der Loch Ness für seine schwimmenden Inseln bekannt wäre.

Bisher war das Monster von Loch Ness eine Lokalsage, für die sich außerhalb von Inverness und Loch Ness selbst wahrscheinlich niemand interessiert hat. Das ändert sich am 2. Mai 1933, als zum ersten Mal eine regionale Zeitung von der Sichtung eines Ungeheuers berichtete. Die Zeitung Inverness Currier brachte einen Artikel über Einheimische, die ein riesiges, im Loch tauchendes Tier gesichtet hätten. Dieser Artikel schlug derartige Wellen, dass es zu einer Mediensensation wurde. Londoner Zeitungen entstanden Reporter nach Schottland. Ein Zirkus soll sogar eine Summe von 20 Tausend Pfund für das Monster geboten haben. Es ist also dieses Klima, in dem mehr und mehr Menschen auf die Suche nach Spuren gehen. Bei so viel Wirbel finden sich natürlich auch findige Leute, die dabei helfen, entsprechende Beweise zu finden. Marmaduke Weatherell, Mitarbeiter der Londoner Zeitung Daily Mail war jemand, der solchen Beweisen auf den Leim ging, wenn ich das so sagen soll. Er kam nämlich mit Abdrücken zurück, die so groß waren, dass sie eigentlich nur von einem Monster stammen konnten. Die waren so gefälscht, dass sich Weatherell nicht nur zum Gespött der Leute machte, sondern auch von seinem Arbeitgeber Daily Mail öffentlich bloßgestellt wurde. Man suchte und suchte also, bis letztlich im April 1934 die endgültige Sensation gefunden war. Daily Mail hatte seinen Beweis gefunden. Robert Kenneth Wilson hatte zwei Fotos gemacht, auf denen ganz unzweifelhaft der Hals eines unbekannten Wassertieres zu sehen war. Der Daily Mail war es 100 Pfund wert. Die Bedingung, den Namen nicht zu nennen, war ihnen gerade recht. The Surgeon’s Fotograph ist das Bild, das also 60 Jahre als Beweis für die Existenz Nessies herhalten sollte und war in der Welt.

Wie immer gab es natürlich von Anfang an auch Zweifler. Zum Beispiel war nicht ganz klar, wie groß das Tier gewesen sein sollte, das man fotografiert hatte. Je nachdem, wie nah man an das Tier ran schnitt war es entweder ein kleines Tier über ruhigem Wasser oder ein großes Tier mit ordentlichen Wellen außen rum. Alles, das man wusste, war die Geschichte, die der Fotograf Robert Kenneth Wilson angegeben hatte. Demnach wäre er mit einem Freund Maurice Chambers zum Fischen an Loch Ness gewesen. Er hätte seine Kamer dabei gehabt, wie es seine Gewohnheit war. Als er dann dieses Tier auftauchen sah, riss er die Kamera hoch und machte mehrere Aufnahmen. Zwei waren auch scharf genug, dass sie als Beweis für die Existenz Nessies herhalten konnten. So war dann auch die Geschichte. Das Bild wurde vielfach untersucht. Es gab Zweifel an seiner Authentizität. Niemand konnte aber erklären, was da eigentlich zu sehen war. So richtig unglaubwürdig war ein Chirurg auch nicht. Er war nicht aus der Region. Er hatte ein bisschen Geld, aber auch kein Vermögen mit dem Foto verdient. Warum sollte ein Chirurg lügen? Er hatte nicht einmal Ruhm gesucht, obwohl er hätte berühmt werden können. Dieses Foto war nicht nur ein Eckstein für die Disziplin der Kryptozoologie, sondern auch gleichzeitig der Startpunkt einer Loch Ness Monster Industrie. Es gibt Nessie Merch, es gibt Nessie Entdecker Reisen, es gibt Nessie Forscher, es gibt Nessie Historical Tours, es gibt Nessie Sagen und Bücher und so weiter. Man schätzt die Nessie zu verdankenden Einnahmen, die zusätzlich in die Region fließen auf ungefähr 30 Millionen Euro jährlich. Das Foto hat definitiv geprägt, wie uns ein Seeungeher vorstellen, nämlich wahlweise wie eine große Seeschlange. Am allerliebsten aber als eine Art Dinosaurier. Das ist auch eine der beliebtesten Theorien. Ein Tier der Urzeit, ein großer Wasserdino, hat überlebt und treibt in Loch Ness sein Unwesen. Deswegen ist man irgendwann mit Sonarschiffen über den See geschippert und hat nichts gefunden.

60 Jahre alt war das Foto, als sich die Geschichte letztendlich aufklärte. Als Robert Kenneth Wilsons Freund Maurice Chambers stirbt, hinterlässt er diverse Aufzeichnungen und Tagebuch Einträge, die die komplette Geschichte erzählen. Spoiler Alert: An dem Foto stimmt genau nichts. Das fängt schon bei dem angeblichen Fotografen Robert Kenneth Wilson an. Der war nämlich gar nicht an der Kamera. Es fängt nochmal mit Marmaduke Weatherell an. Das war der Mann, der die Fußabdrücke gefunden hatte und sich dann öffentlich bloßstellen lassen musste. Der fand das gar nicht lustig und überlegte, wie er das dem Daily Mail heimzahlen konnte. Marmaduke Weatherell war eigentlich Filmmacher. Eins war deswegen schnell klar. Was ist besser, als Fußabdrücke? Ein Beweisfoto. Es braucht dafür jemanden, der ein Talent für Skulpturen hat, wie beispielsweise der eigene Schwiegersohn Christian Sperling. Der findet den Plan großartig und konstruiert das Modell auf Basis eines Spielzeug Uboots. Sein Sohn Ian Weatherell war natürlich auch mit an Bord. Das war der Hobby Fotograf der Gruppe, der später das Foto machte. Die brachten für die eigentlichen Aufnahmen auch neue Freunde, nämlich Robert Kenneth Wilson und Maurice Chambers. Allen war klar, dass die Bilder nicht zu gut werden durften. Es musste ja spontan aussehen. Erwischt werden wollte man auch nicht. Die Gruppe Männer trifft sich also am See und beginnt, ihre Aufnahmen zu machen. Um ein Haar wäre es komplett schief gegangen. Kaum hatte man das Uboot zu Wasser gelassen und mit den ersten Aufnahmen begonnen, näherte sich ein Patrouillen Boot. So kam es, dass das original Nessie, das für das berühmte Foto Modell gestanden hat, immer noch im See sein muss. Denn Weatherell gab dem Ding einfach einen beherzten Tritt, sodass das Ding versank, bevor sie auffliegen konnten. Um endgültig Weatherells Beteiligung an dem Foto zu verschleiern, war dann Robert Wilson derjenige, der offiziell das Foto der Daily Mail anbot und damit eine Ikone geschaffen hatte.

Ich hatte schon an anderer Stelle erwähnt, dass mein persönlicher Test für ikonische Fotos meine Teenager Kids sind. Wenn ich denen ein Bild hinhalte, das sie kennen, dann ist es für mich zumindest ein Indiz, dass ein Foto im kollektiven Popkultur Gedächtnis gelandet ist. ich glaube, Marmaduke Weatherell war es recht. Als er das Foto gemacht hatte, konnte er nicht absehen, wie sehr es einschlagen würde. Ich finde es aber bemerkenswert, dass 60 Jahre lang diese Gruppe von fünf Männern komplett dichtgehalten hat. Die müssen über die Jahre einen Mordsspaß gehabt haben. Inzwischen hat dieses Bild ein Eigenleben, das sowieso nicht mehr einzuholen ist. Es spielt keine Rolle, dass es eigentlich ein Spielzeug Uboot ist, das hier fotografiert wurde. Nur weil das einzige Foto, das wir vom Monster von Loch Ness haben eine Trickaufnahme ist, heißt es ja nicht, dass es nicht trotzdem ein Seeungeheuer in Loch Ness geben könnte.

2 Responses

  1. Klaus sagt:

    Natürlich ist das Foto echt. Diese abstruse Geschichte mit U-Boot und Fake ist – Fake News.
    (tolle Folge, BTW)

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