5. Juni 2021

Der Blick aus dem Wassereimer

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Wer eine Action-Cam wie z.B. die GoPro hat oder schon mal Musikvideos gesehen hat kennt den Bildeindruck von sogenannten Fisheye-Objektiven und die werden von einem Mann erfunden der eigentlich fast Priester geworden wäre sich dann aber doch für ein Physikstudium entschlossen hatte…


Transkript

Es gibt Objektive, die so weitwinkelig sind, dass sie praktisch hinter sich gucken können, weshalb man sie in Marssonden, Action Kameras einbaut oder damit Musiker fotografiert. Ihre Geschichte beginnt im Jahr 1906 mit einem Eimer Wasser und einem Ausnahmetalentierten Physiker. 

Als Robert Wood geboren wird, ist das Medium der Fotografie schon 30 Jahre alt. Später wird er sein ganzes Leben damit zubringen, die Gesetze der Optik und damit auch der Fotografie zu studieren. Robert Wood ist eine dieser Figuren, deren Erkenntnisse und Arbeit überall um uns herum zum Einsatz kommen, die wir aber nicht kennen. Wenn man von ihnen hört, stellt man sich deswegen sehr schnell einen knochentrockenen Professor und Forscher vor. 

Bei Robert läge man da einigermaßen falsch. Das betrifft nicht den Forscherteil, sondern den knochentrockenen Teil. Robert Wood hat es neben seiner offensichtlichen wissenschaftlichen Brillanz so faustdick hinter den Ohren, dass es seine Streiche mehrmals in die Zeitungen der damaligen Zeit schaffen. So baut er beispielsweise einmal ein gigantisches Insektenmodell, das er im Park von Studenten auffinden lässt. Sie glauben zunächst tatsächlich, sie hätten ein gigantisches prähistorisches Insekt ausgegraben. 

Eine andere Anekdote erzählt, wie er über mehrere Tage hinweg seine Vermieterin verblüffte, die Schildkröten Liebhaberin war. Robert Wood zog los und kaufte eine größere Anzahl Schildkröten in unterschiedlichen Größen immer mit einem sehr ähnlichen Muster auf dem Rückenpanzer. Die Kleinste schenkte er seiner Vermieterin. Jeden Tag fand er einen Vorwand, um die Schildkröte unbemerkt gegen die nächstgrößere Schildkröte auszutauschen. Was mit einem Tier von vielleicht zehn Zentimeter Länge begann, endete mit einer Schildkröte von fast 40 Zentimeter Länge. 

Die Vermieterin bemerkte, dass ihr Tier ungewöhnlich schnell zu wachsen schien. Sie war aber erst so richtig verblüfft, als die Schildkröte plötzlich wieder kleiner zu werden schien. Wie oft er das Tier vorm Auffliegen schrumpfen lies ist nicht überliefert, ebenso wenig, was aus den Schildkröten wurde. Der Streich an sich ist zugegebenermaßen schon einigermaßen lustig. 

Robert Wood wird 1868 in Massachusetts geboren und wollte eigentlich Priester werden. Die Rocksberry Latin School sollte ihn dahin ausbilden. Für seine Familie musste es eine Überraschung gewesen sein, als er eines Abends heim kam und erklärte, er würde sein Priesterstudium an den Nagel hängen und stattdessen Physiker werden. Er hatte eine Lichterscheinung am Himmel gesehen. Das war eine seltene Form der Aurora, die er sich nicht spirituell erklärte, sondern als bis dahin unbekannte, unsichtbare Lichtquelle. Die wollte er erforschen, wofür er Physik und speziell die Gesetze der Optik studieren musste. Das tat er ab jetzt. Harvard, MIT, University of Chicago sind die Institutionen, bei denen er Abschlüsse in Physik machte, studierte und lehrte. 

Er arbeitete zwei Jahre lang in Berlin, kam zurück nach Wisconsin und wurde irgendwann ein Vollzeit Professor für optische Physik an der John Hopkins University. Ab da war er umtriebig. Er studierte überwiegens unsichtbare Lichtspektren wie Ultraviolett oder infrarot. Weil einige dieser Felder natürlich besonders für die Astronomie interessant waren, richtete er seinen Blick auch in den Nachthimmel. Auf dem Mond gibt es so ein Gebiet, das nach ihm benannt ist. Es ist ein Bereich, in dem Ultraviolettlicht besonders stark absorbiert wird. Den Effekt beobachtete Wood zuerst und konnte ihn dann durch den Schwefelgehalt in Gestein erklären. 

Wood fertigte Flüssigspiegel, also Spiegel, die aus flüssigem Quecksilber bestanden. Er konstruierte damit Teleskope und beschrieb die optischen Eigenschaften solcher Konstruktionen. Er baute eine Lampe, die heute noch im medizinischen Einsatz zu finden ist. Es ist die sogenannte Wood Lamp, die hauptsächlich infrarot und Ultraviolettlicht abgibt. Er baute optische Filter, die für sichtbares Licht undurchlässig, aber für infrarot und ultraviolett durchlässig waren. 

Als Professor für optische Physik beschäftigte sich Wood natürlich regelmäßig mit Aufzeichnen von Licht. Fotografie war für ihn also alltäglich, wenn auch aus wissenschaftlicher Sicht. Er nahm also diese Filter, packte sie vor Kameras und machte die ersten infrarot Aufnahmen überhaupt. Wer schon mal mit infrarot Aufnahmen experimentiert hat, weiß, dass so manches Material mit infrarot aufgenommen anders aussieht, als wir es im sichtbaren Spektrum erwarten würden. Blätter grüner Pflanzen werden beispielsweise strahlend hell, was fast aussieht, als seien sie weiß gefroren. Auch heute nennt man diesen Effekt nach Robert Wood den Wood Effekt. 

Robert Wood muss damals eine wissenschaftliche Institution gewesen sein. Als es in New York zum bis dahin größten Terroranschlag in der Geschichte der vereinigten Staaten kommt, wird Wood beauftragt, den Zündmechanismus der Bombe zu rekonstruieren. Die Täter konnte man nie fassen. Der Anschlag wurde nie gänzlich aufgeklärt. Die Bombe hat er aber auftragsgemäß rekonstruiert. Er war in seiner Freizeit künstlerisch unterwegs. Er ist Koautor zweier Science Fiction Romane und illustrierte und schrieb zwei Bücher mit Kindergedichten. Als die USA in den ersten Weltkrieg eintreten, forscht Wood an Methoden, Uboote durch Ultraschall zu entdecken. 

Viele dieser Phänomene wurden allerdings mit optischen Mitteln untersucht und verglichen. So verdanken wir Wood die ersten Aufnahmen von Schallwellen überhaupt. Der Mann war also eine Koryphäe. Eine der von ihm hinterlassenen Erfindungen ist das Fischaugenobjektiv. Er überlegte, was es brauchen würde, um einen kompletten Horizont auf einer Bildebene abzubilden. Wenn Licht vom einen ins andere Trägermedium übertritt, kommt es zu einer Brechung. Den Effekt haben wir alle schonmal beobachtet, wenn wir schräg neben einem Aquarium gestanden sind. Wood überlegt sich, dass dieser Effekt eigentlich dazu führen müsste, dass ein Fisch, der unter der Wasseroberfläche schwimmt den kompletten Horizont über der Wasserfläche sehen können müsste. Wie könnte er also eine Linse konstruieren, die den kompletten 180 Grad Winkel über der Wasseroberfläche einfängt und auf einer kleineren Fläche konzentriert? 

Er nimmt ein Wasserbecken, eine Kamera Obscura und eine ausgefeilte Versuchsanordnung und ist erfolgreich. Die ersten Fischaugenbilder überhaupt. Den Namen hat er gleich mit geprägt, da er sich gedanklich von der Seite des Fisches unter Wasser dem Thema genähert hatte. Somit blieb es ab da bei der Bezeichnung. Die Bilder, die er macht, sehen ungewöhnlich vertraut aus, für jemanden der schonmal Aufnahmen mit Fischaugenobjektiven gesehen hat. Wer hat das nicht? Eine scheinbar kreisförmig gebogene Welt, eine tonnenförmige Verzeichnung, die besonders Gesichter grotesk zu verzerren scheint sind sichtbar. Es war ein interessantes Experiment. 

Es war eine erfolgreiche Erkenntnis. Wood beschreibt die gefundenen optischen Gesetzmäßigkeiten in einem Paper und zieht weiter zum nächsten Forschungsthema. Die Wissenschaft war aber interessiert. Von 1915 bis 1930 kommen diverse Objektiv Konstruktionen auf den Markt, die ohne Wassertöpfe auskommen und sich hauptsächlich damit beschäftigen, wie man für die Forschungsfelder der Meteorologie oder Astronomie Linsensysteme bauen könnte, die den kompletten Horizont abdecken. Die da gefundenen Konstruktionen sind etwas unhandlich. Wood hatte 1906 seine Entwicklung gemacht. 1915 bis 1930 wurde daran geforscht. 

Es dauert aber bis kurz vor den zweiten Weltkrieg, bis deutsche Forscher eine Objektiv Konstruktion patentieren lassen, die dem was wir heute Fischaugenobjektiv nennen schon relativ nahe kommt. Sie teilen ihre Erkenntnisse und die Patente mit einem japanischen Unternehmen namens Nikon. Ab hier tut sich erstmal nichts. Es dauert bis 1957 bis Nikon das erste Fischaugenobjektiv überhaupt auf den Markt bringt. Es ist fest mit einem dazu passenden Kamerasystem verbaut und kostet auf heutige Verhältnisse umgerechnet schlappe 27000 Euro. 

Dafür kann es wirklich 180 Grad Winkel aufnehmen. Das System ist für wissenschaftliche Anwendungsfälle wie Meteorologie gedacht. Es dauert allerdings gar nicht lange, bis die ersten mit dieser Kamera gemachten journalistischen Bilder auftauchen. So veröffentlicht das Life Magazine beispielsweise Bilder von einer Senatsanhörung, die eindeutig mit diesem Fish eye Objektiv gemacht worden waren. Es ist ein rundes Bild. Man erkennt die typischen tonnenförmigen Verzerrungen. Man sieht aber auch alle Menschen, die sich in dieser Anhörung im Raum befinden. 

Das gibt uns gleich einen der Hauptanwendungszwecke von Fischaugenobjektiven. Es ist die Überwachung ganzer Räume. Wer in ein beliebiges Geschäft geht und dort an der Decke eine Überwachungskamera sieht, wird meistens vermuten dürfen, dass dort ein oder mehrere Fischaugenobjektive verbaut sind. Es gibt Gopro Kameras mit fish eye Objektiven zum nachrüsten und teils schon fertig drauf geschraubt. Es gibt Objektive, die bis zu 220 Grad Bildwinkel in einem Rutsch sehen können. Wenn man nicht aufpasst, ist man also als Fotografin oder Fotograf noch mit im Bild, wenn man mit diesen Objektiven arbeitet. 

Wir waren bei 1957. Auch wenn die Magazine die ersten Fish eye Aufnahmen veröffentlichten, war es trotzdem noch eine sehr selten verwendete Technik. Es sollte nochmal fünf weitere Jahre dauern und wurde 1962, bevor Nikon das erste Consumer Fish eye Objektiv auf den Markt brachte. Jetzt kam es in mehr und mehr Hände und wurde mehr und mehr eingesetzt. Fischaugen Objektive haben interessante Eigenschaften. Sie zeigen viel Kontext. Man sieht also viel von der Umgebung des Objektivs. 

Ein anderer Effekt ist, dass die fotografierten Motive, je nachdem wo sie im Bild stehen, enorm verzerrt werden können. Objekte in der Mitte, an die man nah rangeht, werden ungewöhnlich groß dargestellt. Wenn man auf die Art Menschen fotografiert, hat man gleichzeitig den Vorteil, das Model zu vergrößern, während man die Umgebung ordentlich miteinbezieht. Das ist eigentlich das Perfekte Rezept um beispielsweise Rockmusiker zu fotografieren. 

Deswegen entdecken diese Objektive besonders die Fotografen für sich, die für die damaligen Rockbands Konzertfotos und besonders Platten Covers fotografieren. Die Bilder sahen ungewöhnlich aus, fast wie auf einem Drogen Trip. Das passte in die 60er. Die Beatles, Stones, Festivals wie Woodstock, Blicke aus der und in die Menge sowie immer wieder kreisförmige Aufnahmen auf Plattencovern, Künstler deren Hände und Köpfe riesengroß wirken, die trotzdem zusammen mit ihrem gesamten Equipment ins Bild passen gab es. Richtige Fisheye Objektive produzieren ein rundes Bild. 

Es wird der gesamte Horizont aufgenommen. Das Ergebnis ist kreisrund. So werden die meisten Plattencover mit solchen Aufnahmen erstmal von diesem Bild dominiert. Die Schrift wird oft außen rum angeordnet. In den 60ern entstehen buchstäblich hunderte solcher Aufnahmen. Das Fischauge ist der inoffizielle Look der damaligen Musikkultur, was von der Musikrichtung unabhängig ist. Als in den 80ern MTV an den Start ging, war natürlich klar, dass die Musikvideos mit Fischaugenobjektiven arbeiten würden. Auch wenn jedes Genre mit diesem Look klarkam, war doch ein Genre ganz besonders in your face und auf die Verzerrungen aus. Das war Hiphop. 

Bis heute werden Gruppenfotos und manches Mal auch die Musikvideos mit dieser Verzerrung gemacht. Von dort aus ging es in den Rest der jungen Kultur. Es reicht, nur kurz nach Skateboard Fotos zu suchen. Die charakteristische Verzerrung von fish eye Objektiven ist da praktisch der Standard. Alles begann, als ein Optics Professor in den USA sich die Frage stelle, wie wohl ein Fisch die Welt über dem Sehr wahrnehmen würde. (Musik) Fotomenschen. Ich liebe Weitwinkel Aufnahmen. Das faszinierende am Fischaugen Objektiv ist, dass es uns einen Blick auf die Welt erlaubt, der uns eigentlich verschlossen ist. Seit den 60ern wird mit Fischaugen Objektiven fotografiert. 

Spätestens seit der Gopro und den neuen ultraweitwinkelobjektiven, die an modernen Smartphones verbaut werden, sind wir gewohnt, regelmäßig ultraweitwinkelige Bilder zu sehen. Deswegen sehen fish eye Objektiv Fotos auch ungewöhnlich modern aus, selbst wenn sie 50 Jahre alt oder älter sind. ich mag die Idee, dass das alles mit einem Mann im Priester Seminar begann, der in den Himmel schaute, eine wilde Leuchterscheinung sah und davon inspiriert wurde, Physik zu studieren und hemmungslos seiner Neugierde nachzugeben. 

Wer mehr über Robert Wood oder über fish eye Objektive oder über die Aufnahmen, von denen ich sie in der heutigen Folge hatte, erfahren möchte, der wird in den Notizen zur Sendung fündig. Leider zeigen nicht immer alle Apps alles an. Wenn beispielsweise keine Video Einbettungen zu sehen sind, surft einfach direkt auf der Website vorbei. Fotomenschen.net enthält alle Links und Video Einbettungen. Wer schon mal da ist, kann gerne Themenwünsche, Anregungen, Feedback da lassen. Wer das Projekt unterstützen möchte, erzählt einfach weiter, dass es mich gibt. Bis bald.

3 Responses

  1. Jonas sagt:

    Scheinbar unattraktives Thema, und dann doch (wie immer) spannend und kurzweilig von Dirk umgesetzt. Ich musste die ganze Zeit an das europäische Feuerkugelnetz denken. Da hat mich die Leistungsfähigkeit von Fischaugenobjektiven das erste Mal richtig beeindruckt. Das mit ein paar Kameras der gesamte Himmel gescannt wird ist echt heftig. https://de.wikipedia.org/wiki/Feuerkugelnetz

    • Dirk sagt:

      Ich war auch überrascht welche Bandbreite an Geschichten sich bei dem Thema auftaten, am Spannendsten fand ich Wood ein klein wenig näher zu kommen. Der Mann war faszinierender als ich am Anfang meiner Recherche vermutet hatte 🙂

  2. mc_bo sagt:

    eine schöne Folge!
    Danke

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