8. Januar 2021

Fliegende Katzen im Wasserschwall

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Philippe Halsman schaffte es 101 mal mit seinen Fotografien auf das Titelblatt des Time Magazines und wurde berühmt durch Portraits springender Prominenter, surreale Fotografien und seine Kollaboration mit dem Surrealisten Salvador Dali.

Selbstportrait von Philippe Halsman

Transkript

Ein Eimer Wasser, ein Stuhl, drei Katzen und ein springender Maler sind die Zutaten für eins meiner absoluten Lieblingsbilder. Und ein guter Grund, um über das Werk eines Fotografen zu sprechen, dessen Arbeit sich anschauen sollte, wer wirklich originelle Portraits machen möchte.

Philippe Halsman wurde am 2. Mai 1906 als Sohn einer Rektorin und eines Zahnarztes in Riga in Litauen geboren. Wie es sich für eine wohlhabende jüdische Familie gehört, genießt er eine umfassende Ausbildung, zu der mehrere Sprachen, Verständnis für Kunst und Reisen ins europäische Nachbarland gehören. Er hat gute Noten und freie Auswahl, welche Uni er denn nun besuchen möchte und er entscheidet sich für ein Elektroingenieursstudium an der TU Dresden. Als er da 1924 sein Studium aufnimmt, hat er schon solide Kenntnisse in der Fotografie. Er begann 1921, mit der Kamera seines Vaters Freunde und Familie zu fotografieren. Und während er in Dresden studiert, verdient er sich als Fotograf ein kleines Zubrot.

Es ist das Jahr 1928, als sein Leben eine dramatische Wendung nimmt: Bei einer gemeinsamen Wanderung in den Alpen kommt sein Vater tragisch ums Leben und Philippe wird dafür vor Gericht gestellt und mit einer Teilschuld zwei Jahre in das Gefängnis gesteckt. Das ist eine Geschichte, in der zum ersten Mal deutlich wird, welchen illustren Bekanntenkreis die Familie Halsman und Philippe Halsman speziell zu der Zeit schon hatte: Das sind Leute wie Albert Einstein und Thomas Mann, die sich für seine Freilassung stark machen und erreichen, dass er 1931 nach Paris zu seiner Familie reisen kann.

Paris ist es auch, wo er dann sein erstes, wirklich ernsthaft betriebenes Fotostudio eröffnet, 1932 in Montparnasse. Und es war von Anfang an die Portraitfotografie, die es ihm angetan hatte. Dabei ging es ihm nicht nur darum, Menschen abzulichten, er strebte an, etwas über die Psychologie, über das innerste des Portraitierten darzustellen. Dafür sei es wichtig, schreibt er später, dass das Bild absolut technisch einwandfrei ist. Es muss scharf bis ins Detail sein und so kamen die kleinen Reportagekameras, die damals zunehmend in Mode kamen, nie für ihn infrage.

Er fotografierte im Groß- und Mittelformat. Er ging sogar so weit, dass er seine eigene Kamera konzeptionierte und sich eigens anfertigen ließ. Das ist übrigens etwas, das liest man hauptsächlich von den Fotografen des 19. Jahrhunderts, denn damals hat mancher sich eine Kamera selbst gebaut, weil es die nun Mal nicht von der Stange zu kaufen gab. Die Fotografinnen und Fotografen, die das im 20. Jahrhundert noch machen, tun das nicht, weil es grundsätzlich nicht genügend Auswahl am Markt gäbe, sondern, weil sie Anforderungen haben, die mit dieser Auswahl nicht abgedeckt werden können.

Philippe Halsman wird über seine Karriere hinweg mehrere Kameras konstruieren und die sind selbstverständlich heute teure Sammlerstücke.

Aber zurück zu seinen Fotografien: Er erarbeitet sich schnell den Ruf, einer der besten Portraitfotografen Frankreichs zu sein und Magazine wie die Vogue beauftragen ihn, damit Titelbilder und Fotostrecken zu produzieren. Seine Bilder unterscheiden sich deutlich von dem, was damals fotografisch üblich war. Zum Beispiel war die Mode damals ein leicht weicher Fokus auf dem Bild und das Spiel mit Unschärfe, während Philipe Halsmans Bilder von Vorne bis Hinten detailreich und knackscharf fotografiert waren.

Als Hitler seinen Vormarsch in Europa begann, bemühte sich Philippe Halsman um Visa für sich und seine Familie und bekam die zunächst auch für seine Frau und seine Kinder. Als Hitler Frankreich überfiel, stand seins noch aus und so floh er in den Süden von Paris und tauchte zunächst unter. Wieder sind es seine Freunde; Thomas Mann, Albert Einstein und First Lady Eleanor Roosevelt, die ihm ein Notfallvisum beschaffen und die Ausreise in die USA ermöglichen.

Dort setzt er seine fotografische Arbeit fort, was ihm ultimativ einen Auftrag für das Live Magazine einbringt. Das Live Magazine wird ihn Zeit seines Lebens begleiten. Er wird 1979 als Rekordhalter sterben: 101 Mal Titelblatt des Time Magazines.

Und darunter sind Bilder, die wir vermutlich alle wiedererkennen. Und das liegt unter anderem daran, dass seine Portraits in der Regel überraschen. Da haben die Portraitierten Posen, die wir so noch nie gesehen haben oder Accessoires wurden fotografiert, die wir nicht in einem Portrait erwarten würden, oder Philippe Halsman spielt mit Technik.

Er war ein Meister der Beleuchtung und der Trickfotografie. In einer Zeit, in der es kein Photoshop gab, in der die meisten Tricks in Kamera stattfinden mussten.

Und jetzt zu dem Bild mit den Katzen und dem Wasser und dem Maler. Die Rede ist von einem Bild, das den Titel „Dalí Atomicus“ trägt und das vielleicht berühmteste Portrait des Malers Salvador Dalí ist.

Dalí und Halsman verbindet zu dem Zeitpunkt, als dieses Foto gemacht wird, schon eine jahrelange Freundschaft. Dalí ist Maler, Halsman ist Fotograf. Dalí interessiert sich nicht fürs Fotografieren und Halsman hat kein Interesse daran, Maler zu sein. Aber beide zusammen werden über Jahre hinweg eine produktive Kollaboration pflegen, die zu mehreren Büchern und herausragenden Fotografien führt.

Die Bildidee stammt aus einem Gemälde von Salvador Dalí, „Leda Atomica“. Leda ist die mythologische Königin von Sparta und das Bild zeigt sie mit einem Schwan auf einem Podest, das in der Luft schwebt. Die Gegenstände, die man in der Luft sieht, schweben alle. Und das war die Kernidee, mit der Philippe und Salvador spielten, als sie dann das Gemälde „Dalí Atomicus“ planten. Wer das Bild nicht kennt: Ich packe eine Kopie davon in die Notizen zur Sendung. Und es ist wirklich wert, sich das kurz anzuschauen.

Ich versuche, es trotzdem mal zu beschreiben: In dem Bild sieht man mehrere schwebende Gegenstände, drei fliegende Katzen, einen frei in der Luft stehenden Schwall Wasser und einen schwebenden Salvador Dalí, der an einer schwebenden Leinwand malt. Das einzige, was sich berührt, sind die Katzen und das Wasser.

Und das Bild entstand in über acht Stunden und in mehr als 26 Aufnahmen. Seine Tochter beschreibt das Ganze so:

[Einspieler]

„My father took invisible wires and hung the aisle, the little stool and the picture of Leda Atomica’s and my mother held the chair.“

Ja, wir befinden uns in einem Studio in New York. Und nicht nur war Dalí und drei Assistenten, sondern die ganze Familie damit beschäftigt, dieses Bild zu erzeugen. Verschiedene Möbelstücke waren mit dünnen Drähten, also „invisible wire“, so aufgehangen, dass sie in der Fotografie so aussehen würden, als ob sie frei schwebten. Von der Seite her war ein Stuhl, der ins Bild ragte und dann war die Idee, dass von Links her ein Schwall Wasser durchs Bild geht, während von Rechts drei Katzen ins Bild fliegen und Salvador Dalí musste natürlich springen,

[Einspieler geht weiter]

„Philippe would count to four: ‚one, two, three‘ and the assistants threw the cats and the water and on ‚four‘ Dalí jumped.“

Die Assistenten waren für das Werfen der Katzen und das Wasser zuständig. Halsman würde zählen: „Eins, zwei, drei“, Wasser und Katzen wurden geworfen und auf „vier“ sprang Dalí in die Höhe.

[Einspieler geht weiter]

„My job at the time was to catch the cats and take to the bathroom and dry them off with a big towel. My father would run upstairs, where the dark room was, developed the film, printed, run downstairs, and he said: not good, bad composition, this was wrong, that was wrong, it took 26 tries to do this.“

Halsman drückte ab und während seine Assistenten und seine Familie sich damit beschäftigten, die garantiert nicht begeisterten Katzen zu fangen und wieder zu trocknen und den Boden zu reinigen, rannte Philippe schnell in die Dunkelkammer, entwickelte das Bild, betrachtete das Ergebnis und kam zurück, mit weiteren Instruktionen.

Es gibt ein ganz fantastisches Buch, das heißt Magnum Contact Sheets, in dem man die komplette Serie, die von Philippe Halsman für dieses Bild gemacht wurde, abgebildet ist, mit den Notizen. Und da sieht man mal den Stuhl, der leider das Gesicht von Salvador Dalí verdeckt. Oder die Katzen, die den Wasserstrahl verfehlen. Oder der Wasserstrahl, der leider Dalí und nicht die Katzen trifft, und so weiter.

Mindestens 26, vielleicht auch 28 Versuche waren notwendig, bis das finale Bild, das berühmt werden sollte, im Kasten war. „Dalí Atomicus“. Die armen Katzen.

Philippe und Salvador Dalí haben nicht nur dieses originelle Portrait von ihm gemacht, sondern es gibt eine ganze Bandbreite von Salvador-Dalí-Portraits aus Philippes Kamera. In einer Fotoreihe, die er „Dalí’s Mustache“ nannte und für die er auch einen Bildband herausgab, fotografiert er 36 Mal Portraits von Salvador Dalís Bart. Und jedes sieht ganz grundsätzlich anders aus. Und ja, auch wenn man immer Salvador Dalí sieht, geht es ganz eindeutig um diesen Bart.

Dann gab es auch noch ein Bild, das einen handfesten Skandal auslöste und nicht weniger ikonisch ist. Das Bild ist lateinisch „Voluptas Mors“ betitelt und das übersetzt sich grob in das Wort „Todesvergnügen“ oder „Vergnügen des Todes“. Und es zeigt einen in Frack und Zylinder posierenden Salvador Dalí im Vordergrund und einen aus nackten Frauen geformten Totenschädel im Hintergrund. Speziell dieser Totenschädel ist so ikonisch, dass er auch diverse Male kopiert wurde oder weitere Verwendung gefunden hat. Zum Beispiel in dem Filmposter vom „Schweigen der Lämmer“. Wer sich die Totenkopfmotte dort ansieht, wird feststellen, dass die Designer als Totenkopf genau diese 7 nackten Frauen aus „Voluptas Mors“ genommen haben.

Philippe Halsman war auf jeden Fall ein origineller Fotograf. Seine Bilder überraschen unter anderem auch deswegen, weil er oft Menschen fotografierte, die schon viele tausende Male fotografiert worden waren. Er tourt während seiner Karriere um die Welt und fotografiert das Who’s who der damaligen Gesellschaft. Es gibt berühmte Portraits von Albert Einstein, von Thomas Mann, von Churchill, der Windsource und die meisten seiner Aufnahmen haben das gewisse Etwas.

In seinen Portraitsitzungen hatte er außerdem ein kleines Ritual: Wenn die Arbeit nämlich getan war, bat er seine Models, kurz nochmal für ihn in die Luft zu springen. Halsmans „jumping portraits“ begründen nicht nur einen Trend, der sich bis heute fortsetzt, sie sind auch eine Bildreihe, die immer noch sehenswert ist. Oder wer hat schonmal den Duke und die Duchess von Windsor in die Höhe springen sehen? Und auch ein weiteres ikonisches Portrait stammt aus dieser Reihe, nämlich Marylin Monroe, die mit Enthusiasmus und Begeisterung im vollen Schwung in die Höhe springt.

Diese Portraits sind faszinierend und ja, sie sind anders. Und Philippe Halsman erklärt das so, dass man beim Springen nicht mehr daran denken kann, wie man für die Kamera aussehen möchte. Man ist mit Springen beschäftigt. Und da kommt dann eben ein kleines Stück vom wahren Selbst zum Vorschein, das man in dem Augenblick fotografieren kann. So behauptet Philippe. Und wir? Wir glauben ihm das jetzt einfach so.

4 Responses

  1. Es ist wunderbar, dass auch noch andere Halsman kennen. Avedon, Penn — das sind Namen, die immer sofort fallen. Aber Halsman hört man schrecklich selten, obwohl er in Sachen Portrait einer der Größten ist. Besonders die kreative Zusammenarbeit mit Dalí ist unvergleichlich.

    Wir hatten in unserem Podcast das Buch „Astonish Me!“ von ihm etwas näher vorgestellt. Wen es interessiert, kann hier einmal ein wenig weiterlesen, dort findet sich auch ein Link zum Podcast (Folge 11 dreht sich um Bildbände und Halsman): https://www.schlicksbier.com/lieblingsbildbaende/

  2. Markus Geitebrügge sagt:

    Spannend, welche Fotos man kennt, aber den Fotografen und die Geschichte dahinter eben nicht. Die Aktion mit den Katzen grenzt zwar schon an Tierquälerei (wir haben eine Katze und es ist schon ein Drama, eine Tablette zu verabreichen…) auf alle Fälle eine abgedrehte Geschichte

    • Dirk sagt:

      Waren wohl auch außergewöhnlich geduldige Tiere. Ich hatte auch schon Katzen und die hätten sich irgendwann deutlich zur Wehr gesetzt. 🙂

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