20. Juni 2021

Gedanken auf Polaroid

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Zwischen 1965 und 1975 kommt es zu einer Blüte der Esoterik. Uri Geller verbiegt vor laufender Kameras Löffel und in Chicago fotografiert der arbeitslose Alkoholiker Ted Serios tausende Male seine Gedanken auf Polaroid.


Transkript

Feenfotografie, Geisterfotografie, Aurafotografie: Die Welt der Fotografie erstreckt sich weit über das hinaus, was wir sehen können und da finde ich, müssen wir heute dringend auch einmal über Gedankenfotografie sprechen.

Keine Sorge, keine Sorge, der Dirk ist jetzt nicht unter die Schwurbler gegangen, ich halte alles, was ich jetzt dann gleich erzählen werde, für liebevoll aufbereiteten Humbug, trotzdem sehr verblüffenden Humbug und Humbug, der immerhin mehrere Bücher inspirierte und auch heute noch wissenschaftlich untersucht wird. Dabei geht es um eine ziemlich steile Behauptung, nämlich, dass es Menschen geben könnte, die durch die Kraft ihrer Gedanken Fotos entstehen lassen können.

Der Erste, der diese Behauptung aufgestellt hat, war ein Mann namens Ted Serios. Ted schlug sich in dem Chicago der 60er Jahre, seiner Heimatstadt, als ein sogenannter Bellhopper durch. Bellhopper, das sind Pagen, die auf Zuruf Gepäck tragen und einfache Hilfsarbeiten erledigen. Und Ted war gerade arbeitslos, als er zum Ende der 60er Jahre hin Schlagzeilen in der Lokalpresse macht, mit der Behauptung, er könnte seine Gedanken fotografieren.

Ein Psychiater aus Denver, Jule Eisenbud, wird auf ihn aufmerksam und beschließt, das ganze zu untersuchen. Und schon nach den ersten Sitzungen ist Jule überzeugt, hier einer echten Sensation auf der Spur zu sein und fängt an, zum Teil sehr ausführlich geplante Experimente aufzusetzen. Wobei, ich bin mir sicher: Das, was man da Experiment nannte, ist vielleicht nicht das, was heute ein wissenschaftliches Gremium akzeptieren würde.

Drei Jahre lang wird auf jeden Fall in hunderten Sitzungen diese Fähigkeit von Ted Serios unter die Lupe genommen. Es gibt Videoaufzeichnungen davon, und was da abgeht, ist schon einigermaßen bizarr. In den Videoaufzeichnungen, die man noch findet, sieht man eine Gruppe von Männern um Ted Serios herumgruppiert. Ted Serios trinkt ein Bier, einen Schnaps nach dem anderen, geht dann immer wieder auf eine bereitgehaltene Polaroidkamera zu, macht ein konzentriertes Gesicht und schreit manchmal, zuckt manchmal und brüllt: „NOW!“. Das ist dann halt immer der Moment, indem der jeweilige Kamerahalter auslöst.

Die auf Polaroid gemachten Aufnahmen werden natürlich dann auch sofort gesichtet und manchmal zeigen die dann irgendetwas. Hin und wieder sind sie einfach nur schwarz, hin und wieder sind sie einfach nur weiß, manchmal aber tauchen da dann Bilder auf. Ted währenddessen trinkt weiter, raucht wie ein Schlot, flucht zwischendurch, macht dumme Witze, zieht sich auch gerne mal halb aus, und wären da nicht die Bilder, die von anwesenden Wissenschaftlern detailliert beschrieben und dokumentiert werden, könnte man das Ganze auch für eine bizarre Ein-Mann-Orgie halten.

1985 beschreibt Jule Eisenbud das Ganze in einer Fernsehsendung namens „The world of strange powers“ so:

[Einspieler]

Eisenbud: „When he was hot, when he was in the groove, what happened, was that first, he would start by alternating whities and blackies. Blackies is total obstruction of the light, no light getting in, whities is total overexposure, which shouldn’t have been. Then, the pictures would start getting darker and darker and darker, and then he would start to imprint parts of the people or scenes.“

Sprecher: „Like this church in germany where Ted had never been.“

Ja, also Jule Eisenbud beschreibt hier, was passierte, wenn Ted erstmal so richtig in Schwung war, also auch gut angetrunken in den meisten Fällen, da würden dann nämlich plötzlich komplett über- und unterbelichtete Polaroids auftauchen und dann irgendwann plötzlich auch noch einzelne Bilder, auf denen man Dinge erkennen kann. Manchmal schärfer, manchmal weniger scharf, manchmal auch abwechselnd, jedenfalls verblüffend, denn das waren dann zum Teil Fotos, die Ted auf Aufforderung produzierte oder Bilder von Orten, an denen er wie gesagt noch nie gewesen war und manchmal auch Fotos, die zumindest in Teilen verändert zu sein schienen. Also wo dann vielleicht mal Schriftzüge falsch waren oder ähnliches.

Jule Eisenbud erklärt: Das ist ähnlich wie in Träumen. Da verdrehen wir ja auch einzelne Details und so ist es eben bei diesen Thaughtographies, wie er es nennt, eben auch der Fall.

Eisenbud verbringt knapp drei Jahre mit Ted und macht Versuch über Versuch über Versuch und schreibt zum Schluss seine Erkenntnisse in ein Buch. „The world of Ted Serios: „thoughtographic“ studies of an extraordinary mind“. Das Buch kommt raus und die Medien sind fasziniert.

Irgendwie war es anscheinend in der Luft zu der Zeit. Es sind jetzt inzwischen die 70er und Uri Geller verbiegt vor laufender Kamera Löffel. Warum soll dann nicht ein Amerikaner seine Gedanken auf Polaroid bannen können? 

Hören wir nochmal kurz in eine diesmal auf Deutsch übersetzte Doku rein:

[Einspieler]

„Wir haben als Ziel die Darstellung eines prähistorischen Menschen gesetzt. Um Ted in Stimmung zu bringen, brachte man den Schädel und verschiedene Instrumente eines echten Urmenschen in das Versuchszimmer. Stunden vergehen. Wir knipsen hunderte von Bildern, kein Resultat. Wir werden ungeduldig. Da geschieht etwas Unerwartetes: um 18:25 entsteht ein pechschwarzes Bild. Normalerweise wäre das unmöglich, da der Raum hell erleuchtet ist. Nach einer Reihe von schwarzen Bildern zieht sich Ted bis zum Gürtel aus. Er hat bereits zwölf Flaschen Bier getrunken, flucht ununterbrochen und schwitzt. Um 19:14 zeigt sich das erste Resultat: der Oberkörper eines nackten, langhaarigen Menschen vor dem Hintergrund einer Felswand. „

Richtig gehört: Man musste schon Geduld mitbringen, wenn man einer Ted Serios Session beiwohnen wollte. Mehrere Stunden lang sah man ihm im Wesentlichen dabei zu, wie er sich systematisch betrank. Zwölf Flaschen Bier – Da kann ich wahrscheinlich auch Fotos auf Polaroid entstehen lassen.

Aber wie hat er das denn nun gemacht? Kurz nach Veröffentlichung von Eisenbuds Buch schreibt das etablierte Fotomagazin „Popular Photography“ einen ausführlichen Artikel über die Fotografie von Ted Serios. Eins fällt nämlich sofort auf: Ted fotografiert meistens mit einer kleinen Plastik- oder Papierrolle, die er in der Hand hält. Er nennt es sein „gizmo“. Er hält diese Rolle vor die Kamera, während ausgelöst wird. Und genau in diesem Ding vermuten seither alle den eigentlichen Trick. Denn in dieser Rolle lässt sich natürlich unter Umständen ein Bild unterbringen und wenn man diese Rolle dann nah genug an die Kamera hält, ja, dann entstehen da unter Umständen genau die Bildeindrücke.

Es gibt Fotografen, die das mit einer ähnlichen Konstruktion nachmachen. Freilich können die nicht erklären, wie Ted Serios mit zwölf Bier im Kasten in der Lage sein soll, zum Teil zehn bis fünfzehn anwesende Beobachter hinters Licht zu führen und die Fotos in diesen Rollen gegebenenfalls auszutauschen oder verschwinden zu lassen. Aber wenn wir mal kurz für den Moment annehmen, dass das Fotografieren von Gedanken eigentlich ausgeschlossen ist, dann muss es fast irgendsoetwas sein, denn die Kameras berührte er in der Regel nicht. Also außer eben mit diesem Röllchen. Und weil Ted Serios ja weder an den Kameras noch später in der Dunkelkammer Veränderungen vornehmen konnte, musste es unter Umständen ja irgendwie an diesem Röllchen passiert sein.

Der Artikel kommt raus und Ted-Serios-Fotografien gelten als debunked. Eisenbuds Bücher liegen plötzlich wie Blei in den Regalen. Nur noch in den Spezialabteilungen für Esoterik kann man diese Bücher kaufen. Er veröffentlicht einen Gegenartikel und ruft eine Challenge aus: Wer solche Fotos produzieren kann, möge sich melden. Man sei bereit für einen fairen Wettkampf.

Als der bekannte Illusionist und Schwurbeldebunker James Randi sich melden will, werden ihm Bedingungen diktiert, die er nicht einhalten kann. Er soll sich in einen faradayschen Käfig setzen, nackt, und dabei betrinken. Und wenn er das macht und solche Fotos produzieren kann, dann gilt die Herausforderung als gewonnen. James überlegt kurz, „…vor laufender Kamera nackt in einem faradayschen Käfig betrinken..“, und lehnt dann dankend ab.

Seither spaltet sich die Welt in zwei Lager: Die einen, die behaupten, James Randi hätte Ted Serios debunked und die andere Hälfte, die sagt, das habe er nie auch nur versucht. Und ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwie so in der Mitte. Ich vermute mal, James Randi hätte solche Fotos produzieren können, er hatte nur wenig Lust, sich nackt in einem Käfig vor Kameras abfilmen zu lassen, während er das macht.

Irgendwann kommt es dann zur letzten Aufnahme von Ted Serios. Bei einer der Experimentalsessions taucht ein Bild auf, das einen fallenden Vorhang zeigt. Und das soll das letzte Bild sein, das Ted Serios erzeugen kann. Es gibt noch mehrere Sitzungen, in denen aber hin und wieder auch mal Blackies und Whities produziert, aber Fotos, Fotos seiner Gedanken produziert er nicht mehr. Auch nicht, wenn er zwölf Bier getrunken hat.

Und hier endet auch die öffentliche Geschichte von Ted Serios. Er verschwindet so schnell, wie er aufgetaucht ist. Die Welt interessiert sich deutlich weniger für ihn, jetzt, wo er keine Photographs mehr produziert. Eisenbud und er halten noch weiter Kontakt, Eisenbud wird noch eine weitere Ausgabe seines Buches schreiben, jetzt mit einem zusätzlichen Kapitel, in dem er auf die Vorwürfe des Betruges eingeht.

Die Fotos werden gesammelt, einer Universitätsbibliothek gespendet und es wird weiterhin an diesen Bildern geforscht, wobei das Ganze allgemein auf das Feld der Parapsychologie und philosophischen Studien beschränkt bleibt. Denn auch, wenn Ted Serios davon träumte, eventuell Fernaufklärung für die US-Army machen zu können oder für die NASA Fotos von der Oberfläche des Mondes Ganymede zu produzieren, eine Behauptung, die Eisenbud versuchte, mit Astronomen zu beweisen, ja, selbst, wenn das ein ernsthaftes Ziel gewesen war, dann sind die Ergebnisse trotzdem zu unscharf, zu ungenau und angenehmerweise damit auch schwer beweisbar.

Und irgendwann hatte er dann vermutlich keine Lust mehr, vor laufender Kamera Besäufnisse zu veranstalten und „verlor“ seine Fähigkeit.

Der ganze Spuk endet also ungefähr 1969. Eisenbud und Serios halten noch weiterhin Kontakt bis zu Eisenbuds Tod 1999, dem sieben Jahre später, am 30. Dezember 2006 dann auch Ted Serios nachfolgt.

5 Responses

  1. Peter sagt:

    Die 3D Galerie gefällt mir sehr gut – vor allem die SW Street Bilder. Auch die Anzahl der Bilder ist gut gewählt, so dass man immer mal wieder kommen kann, um was Neues zu sehen.

    • Dirk sagt:

      Das freut mich sehr! Ich habe auch vor hin und wieder Kleinigkeiten zu verändern oder irgendwann zu erweitern. Gelegentlich vorbeischauen lohnt sich also 🙂

  2. Steffen sagt:

    Von der aktuellen Folge hatte ich mir (ehrlich gesagt) mehr versprochen. Technisch, wie immer gut und kurzweilig gemacht. Danke dafür. Inhaltlich (für mich) irgendwie nicht so prall. Also wie Bildzeitung, es reicht eigentlich die Schlagzeile zu kennen. Es wird ja ernsthaft in dieser Richtung geforscht, aber wohl eher in Richtung Gehirnströme als Bilder darstellen. Das Thema würde mich mehr interessieren. Und da wäre Ted Serios dann ein netter FunFact am Rande 🙂

    Die Fotoausstellung ist toll. Man darfs nur nicht aufm Handy sehen, zu klein. Sehr schöne Bilder von Dir. Und ich würde mir wünschen, die Fotos anklicken zu können um sie unverzerrt sehen zu können.

    • Dirk sagt:

      Hui… ausgerechnet mit der Bildzeitung will ich eigentlich nicht unbedingt verglichen werden :-/
      Ansonsten war mir einfach diesmal nach einer der eher skurrilen und leichteren Geschichten. Es ist ja im Podcast für jede/n mal was dabei und wenn die das Thema diesmal nicht zugesagt hat, dann ist nächstes mal sicher wieder was passenderes im Programm 😉

      • Steffen sagt:

        Alles ist gut 😉 und sorry für den Vergleich, der natürlich überhaupt nicht stimmt, ich kenne diese Zeitung ja gar nicht 😉 und in der Gesamtschau der 49 Episoden tut die Abwechslung (mal ernstere Themen mal lockere) sehr gut.

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