====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====
Will McBride fotografiert in seinem Leben Staatsmänner, Musiker:innen, Schauspieler:innen und ganz besonders oft Jugendliche. Sein berühmtestes Bild ist jedoch eine Aufnahme seiner schwangeren Frau Barbara mit dem er einen Deutschlandweiten Skandal auslöst.
- Will McBride (Wikipedia)
- Twen (Wikipedia)
- „In den sechziger Jahren war ich meistens schwanger“ (SZ Magazin)
- Süddeutsche Zeitung – Barbara Siebeck über Männer (hinter Paywall)
- Der Mann, der das wilde Berlin entdeckte, ist tot (WELT)
- Will McBride Archiv
- Demi’s Big Moment – Cover Story Vanity Fair August 1991
- Natalie Portman has recreated THAT iconic Demi Moore pregnancy photo
- Serena Williams‘ Pregnancy Shoot May Never Have Happened Without Demi Moore’s Trailblazing
Transkript
Für das heutige Thema habe ich mich gefragt, was eigentlich passieren müsste, damit ich mich über ein Bild so richtig aufrege, damit ich es skandalös finde, denn das Beispiel, das ich mitgebracht habe, wäre heute wahrscheinlich nichts Besonderes mehr. Oder?
Als Will McBride für seinen Wehrdienst nach Deutschland kam, lag das Ende des 2. Weltkrieges gerade mal 8 Jahre zurück und er hatte das Ende als Teenager erlebt, es war ihm also geschmeidig egal gewesen, oder zumindest so egal, wie einem das von Chicago aus sein konnte. Er hatte englische Literatur, Kunstgeschichte und Malerei studiert, mit knapp über 20 wollte er dann ein bisschen was sehen von der Welt. Und das Militär war da eine gute Gelegenheit. Wehrdienst also. Und Deutschland.
Würzburg ist ein wirklich schöner Standort und als 1955 sein Wehrdienst endet, will er nicht so recht zurück. Also fängt er an, sich seinen Lebensunterhalt als Fotograf für Magazine zu verdienen, derer gibt es inzwischen mehrere, und so ist er unterwegs, um Reportagen und Fotostrecken zu bringen. Italien, Frankreich, Schweiz: Er kommt rum in Europa. Er fängt nochmal ein Studium in Berlin an und zieht letztlich nach München.
Seine Fotos, im Reportagestil aufgenommen, zeigen eine Jugend im Aufbruch. Als er in den 60ern ein Studio in München eröffnet und anfängt, für Magazine wie „Quick“ oder „Twen“ zu arbeiten, feiert und rebelliert eine Teenagergeneration, die den Krieg vielleicht noch erlebt hat, sich aber nicht mehr wirklich an ihn erinnern kann.
Es ist ein Magazin, das ganz besonders zu seinem Stil passt: das junge Bildmagazin „Twen“. Er war schon bei Gründung 1959 mit an Board als Fotoredakteur und Bildlieferant. Und „Twen“ war ein modernes Magazin. Inhaltlich ging es um die Themen, um die es in Jugendmagazinen nun mal geht. Lifestylethemen wie Mode, Musik und Urlaub waren ganz vorne, dann ging es natürlich um Sexualität und Partnerschaft und wir befinden uns am Anfang der sexuellen Revolution, das heißt, vorehelicher Sex, Homosexualität, all diese Themen waren zwar tabu, aber man konnte schon über sie reden und schreiben. Und Will MCBride passte in die Zielgruppe hinein. Er war ein Anfang Zwanziger, er fotografierte gerne Anfang Zwanziger und so passte das perfekt.
Ende der 50er hatte er seine Frau Barbara kennengelernt. Und wie es bei Reportagefotografen so ist, sie war eins seiner Lieblingsbildmotive. Als sie mit seinem ersten Kind schwanger wird, macht er eine Bildstrecke für das Magazin „Twen“. Es wird eine Reportage, in der ihre Schwangerschaft und die Geburt seines Sohnes Shawn dokumentieren wird.
Die Bilder sind gefühlvoll und liebevoll, es ist auch eine Geschichte, die bezeichnend ist. Hier ist ein Amerikaner, Vertreter eines Volkes also, das noch 15 Jahre zuvor mit den Deutschen im Krieg war und Barbara, eine Deutsche, die gemeinsam ihre Liebe feiern und in einer Jugendzeitschrift dokumentieren, wie sie miteinander in die Zukunft gehen.
Die wichtigste Aufnahme der Reportage zeigt Barbara im 7. Monat schwanger mit einer ihrer Lieblingshosen, die sie wegen dem Babybauch nicht zumachen kann. Sie ist komplett bekleidet und schaut selbstbewusst direkt in die Kamera. Und es ist diese Aufnahme einer schwangeren Frau, die Deutschlandweit für einen Skandal sorgt.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften schreitet ein und prüft, ob das Jugendmagazin „Twen“ nicht seine Ausgaben zurückziehen muss. Erboste Briefe werden geschrieben, Kolumnen werden verfasst.
Der Aufreger ist übrigens nicht, dass hier eine nackte Frau gezeigt wird. Sie ist nämlich komplett angezogen. Der Aufreger ist eigentlich auch nicht der Babybauch, der Aufreger und das, was als „obszön“ bezeichnet wird, ist die komplett offenstehende Jeans. Mein Gott, war man prüde damals.
Es wird ermittelt und natürlich gibt es auch die Gegenseite, es gibt auch Briefe der Zielgruppe, also von Zwanzigjährigen. Alle regen sich munter auf. Und beschließt am Ende, dieses Bild so stehenzulassen.
Es ist ein Aufreger, mit dem Will MCBride nicht gerechnet hatte, der allerdings wahrscheinlich nicht ganz unwillkommen als Marketingmaßnahme für „Twen“ dastehen kann und zeigte, dass sich die Welt wirklich verändert hatte. Die moralischen Grundsätze der Vorkriegszeit galten nicht mehr. Die Jugend hatte einen anderen Blick auf die Themen. Und eine junge, schwangere, selbstbewusste Frau zu zeigen war eben nichts mehr, wogegen die Behörden einschreiten konnten.
Will MCBride testete die Limits der Toleranz seiner Mitmenschen allerdings noch mehrere Male: Hatte sich sein erstes Bildband noch um Adenauer gedreht und diverse politische Prominenz der damaligen Zeit gezeigt, war das nächste Buch, was ja nach dem Skandal rund um Barbaras Schwangerschaftsfoto produzierte, ein Aufklärungsbuch. „Zeig mal“, hieß es. Und ja, es ging um Kinder, die ihre Sexualität entdecken. Und weil man dort auch entsprechend junge Menschen dabei sehen kann, wie sie miteinander zärtlich umgehen, wurde ihm vorgeworfen, dass es ein Buch für Pädophile gewesen wäre.
Der nächste Skandal war dann, als sich Barbara und Will trennten, weil Will seine Homosexualität gestanden hatte und die jetzt auch ausleben wollte. Barbara heiratet einen Starkoch und Gourmetkritiker und Will zieht in die Toskana, wo er dann in Zukunft hauptsächlich malen, aber auch immer wieder mal fotografieren wird.
Fast forward. 31 Jahre später, im August 1991, starrt die Welt mit großen Augen auf das Titelblatt des US-Magazins „Vanity Fair“. Es zeigt die hochschwangere und sehr nackte Demi Moore, damals die Frau von Bruce Willis, die von einer berühmten Fotografin Annie Leibovitz fotografiert worden war.
Eigentlich, so sagt Demi später im Interview, waren die Fotos ein privater Fotoshoot. Sie hatte das für sich und Bruce gemacht. Annie war eine Freundin der Familie und immer wieder mal zu Besuch gewesen und hatte ihre Kamera einfach immer dabei und so ergab sich einfach die Gelegenheit. Als sie gemeinsam die belichteten Fotos sichten, soll die Idee entstanden sein, die Bilder doch dem Vanity Fair Magazin anzubieten. Wäre es nicht großartig, wenn das das neue Titelblatt würde? Vanity Fair lässt sich darauf ein und man weiß schon, dass dieses Bild Kritik einfangen wird. Aber auch hier, wie schon damals bei dem Foto von Barbara, es lässt sich einfach nicht leugnen, es sind ästhetische Aufnahmen.
Hin und wieder kann man die Behauptung lesen, dass Annie Leibovitz hier eigentlich das Bild von Will MCBride, also „Barbara pregnant with Shawn“, zitiert hätte. Ah, ich weiß nicht. Für mich ist das ein ganz normaler Schwangerschaftsshot. Aber natürlich sind sich die Bilder wegen dem Aufschrei, den sie produziert haben, ähnlich. Wegen dem Tabubruch. Wegen den Nachahmerinnen und Nachahmern, die sich dann rausnahmen, was diese Bilder vorgemacht haben.
Denn nach Demi Moore gibt es kein Halten mehr. Die Kardashians, Mariah Carey, Beyoncé, Britney Spears, im Babybauch auf einem Cover zu posieren war plötzlich etwas Mögliches und, ich will nicht sagen selbstverständliches, aber doch auch nicht mehr überraschendes. In beiden Fällen war eine Tür aufgestoßen worden.
Ein Tabu wurde gebrochen, das eigentlich gar nicht hätte da sein sollen. Denn eine schwangere Frau ist nun wirklich nichts Besonderes, aber aus irgendeinem Grund war bis dahin selbstverständlich, dass Schwangerschaft nur für den privaten Gebrauch fotografiert wurde. Und die Frage, was ist privat, was ist öffentlich, was ist tabu, was darf gezeigt werden, wird in unserer Kultur regelmäßig verhandelt. Und da ist es auch eine Illusion, anzunehmen, dass es immer nach vorne geht; manchmal geht es auch rückwärts. Und so stellt sich die Frage, ob nicht doch irgendwann das Foto einer schwangeren Frau ein Skandal auslösen kann.
Lieber Dirk
mit Ihren Geschichten über Bilder und die Menschen, die sie machen, bereiten Sie mir immer wieder Freude, eröffnen neue Einblicke und erweitern mein Wissen. Danke dafür!
Sie fragen nach Anregungen, und ich hätte da zwei Empfehlungen:
Lee Miller
Pia Zanetti (zur Zeit zu sehen in der Schweizerischen Fotostiftung: https://www.fotostiftung.ch/ausstellungen/aktuell-pia-zanetti).
Zwei sehr interessante und sehr verschiedene Fotografinnenbiografien.
Schaue ich mir beide sehr gerne an und nehme sie als Themenvorschlag auf. Lieben Dank, auch für das Lob!