23. Oktober 2021

Der erste Fotofälscher der Geschichte?

====> 30x Fotogeschichte(n) - Ein Lesebuch für Fotograf*innen mit und ohne Kamera <====

Hippolyte Bayard ging in die Fotogeschichte ein, aber anders als er es verdient gehabt hätte.

Siehe auch hier im Podcast:


Transkript

3 Männer, so lernt man im Geschichtsunterricht, stehen allgemein am Anfang der Fotografie: Joseph Nicéphore Niépce, Louis Daguerre und Henry Fox Talbot. 

Aber eigentlich gab es da noch einen vierten Mann, er hatte ein fotografisches Verfahren ungefähr zur selben Zeit wie Daguerre entwickelt, er hat die erste fotografische Ausstellung der Welt veranstaltet und war womöglich sogar ein bisschen früher dran. Und trotzdem kennen wir ihn nur noch als den ersten Fotofälscher der Geschichte.

Louis Daguerre stellte am 19 August 1839 vor der französischen Akademie der Wissenschaften sein ganz bescheiden Daguerreotypie genanntes Verfahren vor, dass Frankreich dann der Welt zum Geschenk machte. Ein Mann namens Niépce hatte zuvor mit Daguerre zusammengearbeitet und auch er hatte ein Verfahren entwickelt, dass man heute als Anfang der Fotografie bezeichnen würde. Und dann war da noch in Großbritannien ein Mann namens Henry Talbot, der ebenfalls ein fotografisches Verfahren entwickelte.

All diese Verfahren  entstanden ungefähr zur selben Zeit und alle drei kombinierten mehrere Methoden miteinander, die die Menschheit zum Teil schon seit Jahrtausenden kannte.

Nämlich die Kamera Obscura, die dunkle Kammer, in der sich Bilder projizieren ließen und lichtempfindliche Chemikalien, die wir auch schon etwas länger kannten und die Möglichkeit Bilder zu fixieren, also den Prozess der Veränderung durch Sonneneinstrahlung aufzuhalten.

Und alle drei Männer profitierten von dieser Erfindung. Gut. Niépce war selbst schon tot zum Zeitpunkt als Daguerre sein Verfahren vorstellte aber seine Nachkommen profitierten davon, denn ihnen wurde eine Ehrenrente zugesprochen. Daguerre selbst hatte nach dieser Erfindung ausgesorgt, die französische Regierung kaufte sich das Recht diese Technologie der Welt zum Geschenk zu machen und das war ein lohnendes Geschäft. Außerdem hatte Daguerre dafür gesorgt, dass zwar die Welt dieses Geschenk bekam aber Großbritannien gehört ja irgendwie nicht ganz zur französischen Welt und deswegen kostete das Verfahren dort nach wie vor Lizenzgebühren. Ein praktisches Zusatzeinkommen. Ein Beispiel dem Henry Fox Talbot folgte und ebenfalls Gebühren verlangte und außerdem gleich noch ein Unternehmen aufbaute mit dem er sich um Drucke und Entwicklung von Bildern kümmerte. 

Es lohnte sich also sehr einer der Väter der Fotografie zu sein und das war den beteiligten Männern auch bewusst. Die Entwicklung an sich war eine technische und wissenschaftliche Errungenschaft. Und gerade in Frankreich stand Wissenschaft hoch im Kurs. Daguerre war Geschäftsmann und er war hervorragend vernetzt. Da wundert es auch gar nicht, dass er sofort wusste, wem er seine neue Entwicklung zeigen musste. Er machte also eine Auswahl von Aufnahmen und begann, sowohl sein Verfahren als auch diese Aufnahmen einem kleinen Kreis von hochrangigen Politikern und Wissenschaftlern zu zeigen. Und er machte auch keinen Hehl daraus, dass er sich auf der Suche nach einem entsprechenden  Finanzierungsmodell befand.

Einer seiner Bekannten war der damals weltbekannte Wissenschaftler Dominique Francois Arago. Seit 1830 leitete Arago die französische Sternenwarte und er war bekannt für sein Interesse an Magnetismus und optischen Gesetzen, damit war er auch ein natürlicher Ansprechpartner für Daguerre. Und ihm war sofort klar, welche enorme Bandbreite die Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen Technologie, die  Daguerre ihm anschaulich vorführte haben würde. Arago versprach also zu vermitteln. Die Idee: Der französische Staat würde diese Technologie lizensieren und der Welt verfügbar machen. Er, also Arago, und natürlich die Väter dieser Technologie würden entlohnt werden. Und genauso lief das dann auch. Daguerre bekam vom französischen Staat eine monatliche Rente von 6000 Franc zugeschrieben. Das entspricht heute über 12000 Euro im Monat und sein Mitentwickler Niépce war zwar nichtmehr am Leben, aber dessen Enkelsohn bekam dann an seiner Stelle eine lebenslange Rente von 4000 Franc, also ungefähr 8000 Euro im Monat. Fürstlich. Und Summen, die einen dritten, nämlich Hyppolite Bayard, rasend machten.

Denn auch er hatte ein fotografisches Verfahren entwickelt, und auch er war bei Arago vorstellig geworden und hatte darum geworben sein Verfahren der Akademie der Wissenschaften vorstellen zu dürfen. Und Arago hatte mit Verweis auf ein anderes Verfahren abgelehnt. Pikanterweise war zu der Zeit eigentlich Bayard im Vorteil, denn Bayard hatte sein Verfahren schon durchgehend beschrieben und er konnte Fotos nicht auf Metall mit Quecksilber entwickeln, sondern er hatte ein Verfahren erarbeitet, mit dem sich Fotografien auf Papier festhalten ließen. 

All das passiert im Mai 1839, Arago wusste zwar von Daguerres angeblichen erfolgen, aber er hatte noch keine Beschreibung des Prozesses und noch keine Vorführung gesehen. Allerdings kannten sich die Männer schon länger und Arago hatte seinen Einfluss bereits für Daguerre geltend gemacht. Es sei das überlegene Verfahren. Während also Francois Arago Vorbereitungen trifft um Daguerre vor der französischen Akademie der Wissenschaften auftreten zu lassen, versucht Bayard Fakten zu schaffen. Sein Verfahren nennt er „photogenic Drawings“ und erzeugt 30 Bilder, die er dann in der weltersten Fotoausstellung am 24 Juni 1839 der staunenden Pariser Öffentlichkeit vorführt. 

Daguerre selbst wird sein Verfahren erst einen Monat später amtlich beglaubigt bekommen, während Bayard schon Ausstellungen bestückt. Aber hier zeigt es sich was es wert ist, wenn man mit den richtigen Männern bekannt ist. Arago lässt sich nicht beirren und am 19 August stellt dann Daguerre hochoffiziell sein Verfahren der Akademie der Wissenschaften vor und bekommt ein Patent zugestellt. Mit der Unterstützung der Akademie und dem französischem Staat wird die Patentschrift in kürzester Zeit in 8 Sprachen übersetzt und in der Welt verteilt. 

Bayard war gescheitert. Und das muss besonders bitter gewesen sein, weil für Hyppolite Bayard die Entwicklung dieses Verfahrens die Krönung einer Lebensreise gewesen war. Als kleiner  Junge war er schon davon fasziniert gewesen, dass sein Vater mit einer lichtdichten Schablone ein Logo auf Obst aufbringen konnte. Deckt man nämlich bestimmte Stellen von Äpfeln oder Pfirsichen ab, dann reifen die an dieser Stelle etwas weniger und haben deswegen einen „Aufdruck“ auf der Schale. Und ab jetzt versuchte Bayard diesen Mechanismus zu ergründen.

Wie Daguerre war auch er eigentlich Maler und er galt als vielseitig begabt. Aber anders als Daguerre war die Malerei für ihn kein Geschäft, sondern reine Freizeitbetätigung, seinen Lebensunterhalt verdiente er als Finanzbeamter und Justiziar. Aber in seiner Freizeit beschäftigte er sich mit Chemie, Physik und Malerei. Und die verschiedensten Möglichkeiten Zeichnungen durch Licht anzufertigen hatten es ihm ganz besonders angetan. Und so gehen auf sein Konto gleich eine ganze Reihe von ganz verschiedenen fotografischen Verfahren. Er kannte eine Möglichkeit Papier lichtempfindlich zu machen und trotzdem trocken zu transportieren und zu lagern. Er kannte Möglichkeiten Bilder als positiv zu erzeugen, also direkt fertig auf Papier,  experimentierte aber auch mit Alternativen, bei denen ein negativ erzeugt wurde, was besonders nützlich war um daraus Vervielfältigungen zu erstellen. 

Spannenderweise verschwindet auch Daguerre aus unserer Wahrnehmung, kaum dass ihm dieser eine große Triumph zu Teil geworden war, während Bayard ein ganzes Leben lang Fotografie machen wird. Aber ich greife vor.

Wir sind immernoch im Jahr 1839, obwohl Bayard eigentlich schneller gewesen war und obwohl die Pariser Öffentlichkeit seine Werke schon bestaunt hatte, als Daguerre noch nichtmal ein Patent angemeldet hatte, geht er also leer aus. Er nimmt mehrere Folgeanläufe um die Akademie der Wissenschaften zu Überzeugen, dass auch er eine Zuwendung verdient hat aber er beißt auf Granit. Also entscheidet er sich zu einem radikalen Schritt und macht etwas für  das er bis heute bekannt ist, er setzt sich in sein Studio und macht ein Selbstportrait. Und auch das ist eine Pionierleistung, soweit wir wissen ist es das erste Portrait überhaupt oder zumindest das erste Selbstportrait dass erhalten geblieben ist. Daguerre kann für sich beanspruchen das erste Bild eines Menschen gemacht zu haben, es gibt eine Aufnahme aus einem Dachfenster heraus wo man einen Schuhputzer erkennen kann. Einfach weil der immer am selben Fleck gestanden war. 

Bayard nun setzt sich ganz absichtlich vor die Kamera und inszeniert sich als eine Wasserleiche, links neben ihm sieht man einen großen Strohhut, den man wiedererkennen konnte, wenn man seine Werke bisher schon gesehen hatte. Rechts von ihm steht eine Statue. Er schickt dieses Bild an die Akademie der Wissenschaften, auf der Rückseite ist folgender Text zu lesen: 

„Die Leiche des Mannes, die Sie umseitig sehen, ist diejenige des Herrn Bayard.

Die Akademie, der König und Alldiejenigen, die diese Bilder gesehen haben waren von Bewunderung erfüllt, wie sie selber sie gegenwärtig bewundern, obwohl er selbst sie mangelhaft fand. Das hat ihm viel Ehre aber keinen Pfennig eingebracht, die Regierung, die Herrn Daguerre viel zu viel gegeben hatte, erklärte nichts für Herrn Bayard tun zu können. Da hat der Unglückliche sich ertränkt. Hyppolite Bayard, 18 Oktober 1840.“

Das Bild wirkt aus heutiger Sicht einigermaßen bizarr, allerdings war es mehrere Dinge gleichzeitig: Es war eine Protestnote und es war ein künstlerisches Statement. Man konnte sicherlich darüber streiten ob ein Foto auf Metall wie bei Daguerres Verfahren oder auf Papier beeindruckender aussah. Und trotzdem war diese Aufnahme in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, nicht nur, dass sie einen Menschen zeigte, nicht nur, dass es ein Selbstbildnis war. Es war auch die erste inszenierte Aufnahme überhaupt. Die Zeitgenossen wussten auch sofort worauf sich Bayard mit dieser Aufnahme bezog. 

Im 19. Jahrhundert gab es in einer Stadt wie Paris regelmäßig die Situation, dass Menschen tot aufgefunden wurden ohne, dass man wusste wer die Person denn nun war. Diese Menschen brachte man dann in ein öffentlich einsehbares Leichenschauhaus, dort wurden sie halb aufgerichtet aufgebahrt  und ihre Kleidung sowie Gegenstände, die aufgefunden worden waren, richtete man um sie herum gut sichtbar an. Die Hoffnung war, dass Menschen vermisst wurden und unter Umständen durch die Gegenstände oder den Leichnam selbst eine Identifizierung möglich wurde.

Bayards Aufnahme ahmt das nach: Der Hut, die Statuen sind Gegenstände für die er bekannt war.  Er ist im wesentlichen unbekleidet, ein Tuch bedeckt seine Scharm, das wars aber schon. Da er sich viel draußen aufhielt, besonders in seinem Garten um seine Aufnahmen zu fertigen, waren seine Hände und sein Gesicht dunkler als der Rest seines Körpers. In der Aufnahme unterstreicht es sogar noch den Eindruck einer Wasserleiche.

Es ist jedenfalls diese Aufnahme, die ihm dann einen Platz in den Geschichtsbüchern sichert, ob er selber über diesen Platz so glücklich wäre darf bezweifelt werden, denn wir reden nicht von dem ersten Selbstbildnis, wir reden nicht von der ersten Aufnahme mit allegorischen Stilmitteln, wir reden nicht davon, dass er derjenige Gewesen war, der die erste Fotoausstellung gemacht hatte. Nein. In die Geschichte geht er ein als der erste Fotofälscher.

Aber wenigstens lässt er sich seine Begeisterung für die Fotografie nicht nehmen, er wird weiterhin den Rest seines Lebens fotografieren. Viele seiner Stillleben und auch Selbstbildnissen und Gruppenaufnahmen sind von einer Originalität, die die damalige Malerei hinter sich lassen.

1851 gründet er eine der ersten Fotovereinigungen überhaupt: die „Société 

héliographique“, auf Deutsch die heliographische Gesellschaft. 

Im gleichen Jahr wird er zusammen mit vier anderen Fotografen damit beauftragt Frankreichs historische Gebäude zu dokumentieren. Im Auftrag dieser sogenannten mission héliographique machte er einige seiner besten und bis heute bekanntesten Arbeiten. 

1854 wird die Société héliographique umbenannt und die dann neu gegründete fotografische Gesellschaft  ernennt ihn zum Justiziar und Generalsekretär. Bis heute wird sein Nachlass von diesem ersten Fotoverein verwaltet.

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